DIE
VERBINDUNG
DER
MUSIK
MIT
ANDEREN
KUNSTARTEN.
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nicht zum Gegenstand einer nach vorwärts gerichteten Untersuchung
gemacht werden; denn dies wäre keine unmittelbare Anschauung,
welche allein die ästhetische ist, sondern eben wissenschaftliche Unter-
suchung; freilich Endet diese Betrachtungsweise häufig statt, namentlich
bei den Kennern. Wennselbst man jedoch zugeben wollte, dass nun
einmal diese- Untersuchung zum Musikgenuss gehöre, wobei eine fort-
währende Gedächtnisarbeit den wesentlichsten Anteil hat, so steht doch
fest, dass die Musik in der Zeit fortschreitet und dass das Bewusst-
sein während dieses F ortschreitens" zwei aufeinanderfolgende Eindrücke
auch vermittels des Gedächtnisses nicht zu gleichzeitigen machen kann,
weil sie verschiedene sind. Die objektive Wiederkehr eines schon ge-
hörten Themas ermöglicht demnach die Erinnerung an dessen früheres
Auftreten; denn nuriin diesem Fall ist der Apperzeptionsmechanismus
in einer Verfassung, welche der Thätigkeit des Gedächtnisses Raum
verstattet; aber nicht das Gedächtnis ermöglicht die Zusammenfassung
des Musikstücks. jede Veränderung des Gleichen bedingt schon Un-
gleichheit; die Variation bezieht sich auf das Thema nur durch und
in Gleichheit, indem mit demselben die Veränderungen verglichen
werden. Daher giebt es in blossen Formen keine wahre innere Be-
ziehung mannigfaltiger Glieder auf ein Ganzes, sondern Gleichheit muss
die Einheit ersetzen, und Abwechselung, das Gegenteil der Einheit,
tritt an Stelle der Mannigfaltigkeit: das Musikstück ist kein wahrer
Organismus. Einer Rede gegenüber sind wir durch das Gedächtnis
zwar keineswegs besser gestellt, als gegenüber einem Musikstück.
Allein dort wird die Einheit erbracht durch die begriffliche Beziehung
einer Reihe von systematisch geordneten thatsächlichen Aniührungen
und Urteilen auf ein einziges Schlussurteil. Diese zweckliche innere
Zusammengehörigkeit der Bestandteile, welche auch die Werke der
Architektur zu ästhetischen Organismen erhebt, fehlt dem Musikstück.
Daher ist die Einteilung der Symphonie keineswegs als eine notwen-
dige, sondern lediglich als eine konventionelle, historisch gewordene
anzusehen. Diese Suite könnte um eine beliebige Zahl von Sätzen
vermehrt und vermindert werden. Es lässt sich ein Anlass zur Bei-
behaltung der bestimmten Anzahl derselben nur in einem ausserhalb
der formalen Musik liegenden Werte finden, welcher aber in der
Hanslickschen Auffassung keinen Raum hat. Dass man die einzelnen
Sätze in jenem Fall nach Belieben aus der einen in die andere Sym-
phonie werfen könnte, unterliegt gar keinem Zweifel. Der notwendige
Abschluss, welchen auch das Musikstück als fertiges Ganze finden muss,
hat gewisse bestimmte, feststehende Formen, vergleichbar dem Haupt-