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DIE
NACHAHMENDEN
KÜNSTE.
Ebenso, wie die zur Idee des Dramas hinzutretenden besonderen
Erscheinungen der bildenden Künste, müssen diejenigen der Dicht-
kunst von jener getrennt werden, um ihr Verhältnis zu derselben
klarzulegen. Die Schöpfung des Dramas bleibt darum doch eine
wesentlich dichterische Thätigkeit. Dasjenige, was von der Seite der
bildenden Kunst her mit ihm verbunden wird, hat an sich nicht den
Effekt, dass dadurch das Drama als Bild, als blosser Schein, charakte-
risiert wird; dagegen hebt dasjenige, was als spezifisch Dichterisches
in die Erscheinung tritt, die Realität auf: die gebundene Rede,
in gewissen Fällen auch schon die reichere Entfaltung der dich-
terischen Phantasie in derselben, wirkt als ein negatives Moment, als
eine Stilisierung; denn so sprechen die Menschen in der Wirklichkeit
eben nicht. Dagegen erwächst dem Drama aus der dichterischen
Sprache die Feierlichkeit und Festlichkeit, welche mit einem Kunst-
werk umso notwendiger verknüpft ist, je mehr sein Inhalt sich über
das Mass des Alltäglichen erhebt.
Das spezifisch Dichterische ist die Kunst der Sprache, und der
Nerv dieser Kunst ist die Recitation. Bei blosser Lektüre verliert sie,
wenigstens im Epos, ihren eigentlichen Wert. Allein wir haben keine
Rhapsoden mehr. Die Poesie richtet sich von vornherein auf die
Hervorkehrung des der Volkssprache eigentümlichen Wohllauts und
auf die Erzeugung von Lauten und Rhythmen, welche in realistischen
Zusammenhang mit dargestellten Empfindungen treten; daher der
dauernde Gebrauch einer Masse von verschiedenen Metren in der ly-
rischen Dichtkunst. Diese Kunst also verbindet sich mit dem Drama,
während die Begebenheit der eigentliche Gegenstand der Darstel-
lung ist.
Abgesehen davon, dass das Drama für gegenwärtige Handlung
gedichtet ist, stehen Epos und Roman demselben entschieden näher,
als man gemeinhin zuzugeben pflegt. Epos und Roman streben auf
dasselbe Ziel, jeweils die abgeschlossene Idee einer Handlung zu geben,
und zwar wurde hierzu von Seite der modernen Romandichter, dem
Zahl der Spielabende", mit einem Wort das Ab onnementtheater, wo man all-
abendlich seinen Platz abSifZt oder nach des Tages Mühen Erholung sucht, für die
hohe dramatische Kunst schädlich ist und das richtige Gefühl für dieselbe ertötet._
Dennoch kann dasselbe aus pekuniären Gründen nicht entbehrt werden, und es hat
auch seine relative Berechtigung. Einen ausführbaren und nützlichen Kompromiss
würde ich darin sehen, wenn man hohe Dramen und Musikdramen niemals in der
Woche, sondern nur an Sonn- und Festtagen, in kleineren Städten Seltener und von
Gästen, aufführen liesse.