DRAMA
UND
DICHTKUNST.
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auf die Bühne zieht (z. B. am Schluss der Meistersinger), und dann
ist es ohne Zweifel nur ein erhebendes Moment, kein erniedrigendes,
wenn diese Versammlung auch zu einem reichen und schönen Bild
im Sinne der Malerei zusammentritt. Dieses Bild muss sich lediglich
mit Rücksicht auf die Idealität der Handlung würdigen lassen, deren
_ Realität es nirgends widersprechen darf, während hier in Wirklichkeit
eine gesamtkünstlerische Leistung in Frage steht.
Die Möglichkeit eines solchen Zusammenwirkens und deren
Umfang haben wir im allgemeinen Teil festgestellt: es entsteht min-
destens ein allgemeiner Eindruck von der Schönheit der räumlichen
Erscheinung neben der klaren Vorstellung des Gedankengangs der
Handlung, auch wenn wir jener keine spezielle Aufmerksamkeit wid-
men, und zwar ein umso deutlicherer, je vollkommener nach jeder
Seite hin die Genussfähigkeit des betrachtenden Individuums entwickelt
ist. Wäre dies nicht der Fall, so könnten ja auch die im einheitlichen
Gegenstand des Dramas realistisch begründeten schönen Bühnener-
scheinungen für uns nicht zur Existenz gelangen, wenn nicht etwa
Pausen in der Handlung, Aufzüge u. dergl, hierzu Gelegenheit böten.
Allein die Möglichkeit, uns in das Bühnenbild zu vertiefen, wie wir
es gegenüber einem Werk der bildenden Künste thun würden, fehlt
uns. Eine solche Betrachtung würde, wennselbst sie, theoretisch ge-
nommen, in einem einzigen Moment stattfinden kann, praktisch doch
eine gewisse Dauer und eine umso grössere Hingabe an die räumliche
Anschauungsform erfordern, jemehr das Schöne der bildenden Kunst
für sich genossen sein will.
Im sog. Ausstattungsstück geht die Absicht von vornherein
auf Wirkung durch die räumliche Erscheinung. Der Wert der Hand-
lung darf also höchstens in den sich aus derselben ergebenden Situa-
tion gesucht werden, und im Ganzen genommen handelt es sich hier
lediglich um Amusement, aber nicht um einen geistigen Genuss. Dies
ist gewiss nicht an sich verwerflich; denn der höhere ästhetische Ge-
nuss ist nicht jedesmal eine Erholung und dazu auch gar nicht da.
Wer dagegen in der Kunst allemal nur Belustigung sucht, der verrät
eine verkehrte Auffassung und niedrige Sinne5art_ Im besten Fall ist
das Ausstattungsstück ein Cyklus von schönen (lebenden) Bildern;
hier könnte ein relativ hoher und reiner ästhetischer Genuss stattfinden.
In unserm Ballet pflegt dies jedoch nicht der Fall zu sein. I)
I) Ich wüsste nicht, was sich über dieses Verhältnis besseres sagen liesse, als
was Schön a. a. O. S. 11 u. ff. ausführt. Insbesondere stimme ich vollkommen da-
mit überein, dass das "stehende Theater mit der daraus folgenden viel zu grossen