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DIE
NACHAHMEND EN
KÜNSTE.
ist, dieselbe ein naturgemässes Bedürfnis hat, auch in dieser Anschau-
ungsform ganz befriedigt zu werden. Hier hängt eines am andern.
Während beim Nichtvorhandensein eines Bildes die Phantasie freies
Spiel hat, wird 'sie durch ein unvollständiges Bild gehemmt. Auch
bei Shakespeare ist es nicht notwendig, Beispiele für das Bedürfnis
von Dekorationsstücken aufzuführen, deren Fehlen oder deren Ver-
tretung durch blosse Zeichen eben als Mangel empfunden worden wäre,
wenn nicht eine konventionelle Gewöhnung über dieses Gefühl hinaus-
geholfen hätte. Die Erscheinung des Dramas im Raum kann ferner
ohne Zweifel auch stilisiertwerden. Es ist bezeichnend, dass in unserem
Jahrhundert zuerst ein Architekt von klassischer Richtung, Sehinkel,
auf den Gedanken verfiel, dies einzuführen. 1) Indessen müssen sich
die bestimmten Formen eines Stils historisch bei der Allgemeinheit
entwickeln, wenn derselbe nicht unverständlich und wenn nicht infolge-
dessen das Ganze ungeniessbar werden soll.
Ein Blick auf die Geschichte des Bühnenbildes bestätigt unsre
Darlegung.
Die altgriechische Bühneneinrichtung war eine ziemlich primitive.
Die Gewänder waren in einer Weise stilisiert, welche für uns nicht
wohl geniessbar wäre, und die Szene war ursprünglich eine feststehende.
Die Thatsache, dass immerhin die Örtlichkeit in dieser Form dargestellt
war, konnte nicht ohne Einfluss auf den Gang der Handlung bleiben.
Die Einheit des Orts wurde denn auch seitens der Dramatiker bis zu
einem gewissen Grade gewahrt. Bei den Griechen wurde also der
Bühneneinrichtung eine derartig reale Bedeutung beigemessen, dass ihr
das Drama sogar unterthan war. Man ging darin soweit, dass man
ein Stück des Karkinos durchfallen liess, "weil er den Amphiaraos
aus dem Tempel hatte zurückkehren lassen, ohne dass die Zuschauer
dies sahentiz) Übrigens ging mit der späteren Ausbildung der Bühnen-
einrichtung eine entsprechende Entwickelung der Technik des Dramas
wohl Hand in Hand. S)
I) Vergl. hierüber die "Bayreuther Blätter" von 1887, 3. Stück.
2) Aristoteles, Poetik, Kap. I7, 1.
s) Nach Vitruv hätte bereits zur Zeit des Äschylos eine perspektivische Schluss-
dekoration, welche entfernte Gegenstände darstellte, Anwendung gefunden. (Vergl.
Vitruv, Buch VII, Vorwort I0 Abs. 2.) Indessen war der von ihm genannte Aga-
tharchos vermutlich noch nicht im Besitz der hierzu erforderten Kenntnisse, und
Aristoteles verlegt die Einführung und dramatische Benutzung einer reicheren Bühnen-
ausstattung auch erst in die Zeit des Sophokles (Poetik IV, 13). Vergl. auch Klein
_a. a. O. S. 149 o.