DRAMA
UND
DICHTKUNST.
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vorzuziehen, der sollte sich daran erinnern, dass der Meister leider
nicht einmal für die Erhaltung seiner Werke Sorge getragen hat, welche
er ganz und gar nur der Bühnenaufführung widmetef)
Es ist vielfach behauptet worden, dass, weil nur die Handlung der
Gegenstand des Dramas sei, die moderne Entwicklung der Bühnen-
erscheinung entweder als verderblich oder mindestens als wertlos und
nicht zur Sache gehörig bezeichnet werden müsse. Untersuchen wir
daher genauer, in welchem Verhältnis die räumliche Erscheinung zum
Drama steht.
Ohne Zweifel können wir von der räumlichen Erscheinung ganz
oder teilweise abstrahieren. Wir können also auch von der Dar-
stellung der Örtlichkeit oder der Örtlichkeit und des Kostüms u. s. w.
absehen. Wenn wir dies aber von vornherein nicht thun wollen, so
sind die objektiven räumlichen Erscheinungen eben Bestandteile des
dramatischen Bildes, und der Grad von Genauigkeit oder Richtigkeit,
mit welchem sie dargestellt werden müssen, bestimmt sich nun einfach
nach den von uns entwickelten allgemeinen Grundsätzen, d. h. danach,
dass das Erscheinende den Bedingungen der natürlichen Möglichkeit
nirgends zuwiderlaufen darf und dass übrigens das Dasein oder Fehlen
von Momenten der äusseren Erscheinung in eben dem Grade von
geringerer Bedeutung für das Bild ist, in welchem sie weniger eine
Bedingung der Erscheinung des eigentlichen Gegenstands der Dar-
stellung ausmachen. Eigentlicher Gegenstand der Darstellung
ist und bleibt im Drama ganz allein die Handlung. Aber
wenn wir sie in ihrer totalen Erscheinung darstellen, so
treten Örtlichkeit und Kostüm in vielen Fällen mit ihr in
realistischen Zusammenhang, Während dieselben Faktoren in vielen
andern Fällen blos eine naturalistische Bedeutung haben. Von der
räumlichen Erscheinung abzusehen, das beabsichtigen wir im Drama
ja gerade nicht. Es ist nicht überflüssig, sich daran zu erinnern, dass
wir dies nicht einmal im Epos und Roman thun, sondern dass dort an
die Stelle der räumlichen Darstellung vielfach Beschreibungen treten,
welche ins Drama nicht gehören. Deshalb sind auch Abstraktionen
von der räumlichen Erscheinung in der Geschichte des Dramas ge-
wöhnlich als mehr oder minder unfreiwillige Ausnahmen zu betrachten.
Am leichtesten vollzieht sich der Verzicht auf die Örtlichkeit. Im
Ganzen aber liegt die Sache so, dass wenn, wie dies bei Darstellung
durch gegenwärtig Handelnde geschieht, unsre WahYnChmungSthätig-
keit überhaupt einmal objektiv räumlich in Anspruch genommen worden
Vergl.
Engel,
Geschichte
englischen Litteratur, Leipzig
1883, S.
156.