DRAMA
UND
DICHTKUNST.
IZI
erzählt wurde, doch bereits eine räumliche Darstellungsform waren.
Thaletas führte gegen Ende des 8. Jahrhunderts vor Chr. in Sparta
eine chorische Darstellung ("Hyporchem") ein, bei welcher ausgewählte
mimische Tänzer den Inhalt eines vom Chor gesungenen Liedes durch
Gebärde ausdriicktenß) Am vierten Tage der grossen Eleusinien in
Attika wurden mimische Tanzspiele aufgeführt, welche den Raub der
Proserpina vorstellten. Bei den dionysischen Weihen wurde das Leiden
und Sterben des Dionysos Zagreus mimisch dargestellt. z) Die Delpher
feierten den Apollon durch eine Nachahmung seines siegreichen Kampfes
mit dem Pythondrachen und seiner sühnenden Dienstleistungen. 3)
Mimische Tanzdramen finden wir auch bei den Indern und bei den
Mexikanern und Peruanern vor der Entdeckung Amerikasß) Auch in
diesen Fällen haben wir darstellende Handlungen, in welchen Zuschauer
und Spieler häufig identisch tvaren. Bei den Griechen erhob Thespis,
indem er dem Chor einen Schauspieler gegenüberstellte, die Handlung
des attischen Dramas zur Objektivität eines angeschauten Kunst-
Werkesä), in welchem der Chor manches von seiner früheren Zwitter-
Stellung beibehieltö) In all diesen Formen war jedoch eine Handlung
I) Athen. I. S. I5 Boeckh, Fragm. Pind. S. 596; I. L. Klein, Gesch. des
Dramais (Leipzig, seit 1865), l, S. 107, Z. 17 v. u.
2) Vergl. j. L. Klein a. a. O. l, S. 48.
3) Klein a. a. O. S. 56.
4) Vergl. Klein a. a. O., I, S. 96 ff.
5) Vergl. Klein a. a. O. 117.
6) Dass letzteres kein Vorzug war, sondern eben eine historische Thatsache,
hat Friedrich Schoen in seiner Abhandlung „Ein städtisches Volkstheater" (Worms
1887, S. 28 u. ff.) übersehen. Das Drama ist in vollkommener Gestalt keine dar-
stellende Handlung einer Publikum und Darsteller in sich vereinigenden Volksmenge
mehr, sondern gleich jedem andern Kunstwerk ein objektives, angeschautes Bild.
Schön möchte das Drama aber auch in der Beziehung auf einen primitiveren Zustand
zurückschrauben, dass er Vereinfachung des Bühnenbildes etwa in der Form der
Shakespearebühne verlangt. Er behauptet zu dem Ende einen völligen Unterschied
zwischen Drama und Musikdrama. Allein der Beweis, dass die Bühnenerscheinung
in der Oper' etwas anderes sei, als im Drama (S. 9 Abs. 2, S. 27 u. ff., S. 60) ist
ihm keineswegs gelungen, und er kann überhaupt nie gelingen. Andererseits be-
deutet eine Stilisierung derselben in der Oper ganz dasselbe, wie im Drama. Aber
freilich wäre es für Schörfs Endziel sehr wichtig, dass er den durchgreifenden
Unterschied zwischen Drama und Musikdrama in diesem Punkte zu beweisen ver-
möchte, um nicht mit Wagner in Konflikt zu kommen. Weil aber dies unmöglich
ist, so wird eben auch niemand seiner Versicherung Glauben schenken, dß-SS 61' IliCht
nur mit dem Meister in Widerspruch geraten sei, sondern sogar dessen Intentionen
verwirkliche. Denn Wagnefs Praxis war gerade die entgegengesetzte, und dieselbe
gilt uns für alle Fälle mehr, als seine zwar genialische, aber teilweise nicht zu voller
Klarheit durchgedrungene Theorie.