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DIE
NACHAHMENDEN
KÜNSTE.
Damit haben wir den Standpunkt eingenommen, von welchem
allein aus sich gewisse vielumstrittene Fragen der dramatischen Dar-
stellung befriedigend lösen lassen. Gleich Aristoteles sehen wir das
Unterscheidende des Dramas darin, dass es "Nachahmung einer
Handlung durch gegenwärtig handelnde Personen und nicht
durch Erzählung" ist. Mit diesem Kunstwerk haben wir uns zu-
nächst zu beschäftigen, während die Frage nach einem Gesamtkunst-
Werk derart, dass jede der beteiligten Künste auf Wirkung durch das
ihr eigentümliche Schöne ausgeht, vorläuüg dahingestellt bleiben soll.
In den beiden Anschauungsformen des Raums und der Zeit können
ausser dem Drama noch spielen bewegliche lebende Bilder: Panto-
mimen, Ballet; das sog. Ausstattungsstück ist als eine Folge von
räumlichen Bildern mit verbindender Handlung aufzufassen. Auf
welchen von diesen Gegenständen es abgesehen ist, muss aus dem
Kunstwerk selbst hervorgehen. Im Drama ruht jedoch, obgleich
die Erscheinung im Raum ausschlaggebend für den Bestand dieser
Kunstart ist, die innere Einheit in allen Fällen allein in dem
ursächlichen Zusammenhang des Verlaufs der Handlung bis
zur Erzielung des Schlussresultats, d. h. im Schauspiel der Lösung
der Verwicklung, im Trauerspiel der Vernichtung des Helden bei Un-
möglichkeit einer andern Lösung. Das ist also der einheitliche Gegen-
stand, die Idee, des Dramas und dasjenige, was im Drama "Hand-
lung" genannt werden muss. Darauf, dass viel geschieht, kommt nichts
an, wohl aber darauf, dass, was geschieht, zu möglichst aktueller Er-
scheinung gelangt. Hierin beruht das „Dramatische", im Gegen-
satz zur Erzählung. 1)
Die Dichtkunst wirkt in der blossen Phantasie; anders die dra-
matische Kunst. Die Behauptung, dass das Drama eine Kombination
von epischer und lyrischer Dichtkunst sei, ist eine irreführende. Es
ist entschieden richtiger, das Drama als aus darstellenden Tänzen,
Orchestik und Mimik (Pantomimen), entstanden zu betrachten, welche,
obgleich dabei der Gang der Handlung auch durch Chorgesang episch
I) Der richtige Dramatiker wird daher mit Vorliebe dasjenige darstellen, was
gerade durch sein Geschehen einen starken Eindruck hervorbringt. So ist z. B.
Wagneßs "Götterdämmerung" eminent dramatisch. Das dramatische der Begeben.
heiter; genügt freilich nOCh niChf, um ein Drama zu einem guten zu machen; dazu
gehört vielmehr noch, dass sie ein entsprechendes Glied des Sachzilsammenhangs
des ganzen Stückes bilden. KICiSVS "Hermannsschlacht" ist in den einzelnen Szenen
sehr dramatisch, während die Handlung in ihrem Zusammenhang kein Interesse
erweckt, indem keine wahre Verwicklung und Lösung derselben stattfindet.