DRAMA
UND
DICHTKUNST.
Die Dichtkunst hat, im Gegensatz zur bildenden, einen unver-
meidlichen konstitutionellen Mangel, welcher sich jedoch nur- beim
Fehlen des notwendigen Masses von eigener Einbildungskraft auf Seite
der Hörer oder Leser geltend macht: dass sie nämlich die Körper
nicht zeigen kann, deren Beschaffenheit doch unter Umständen als
Motiv von erzählten Begebenheiten oder subjektiven Stimmungen von
ganz wesentlicher Bedeutung sein wird. Deshalb tritt mit ihr die
bildende Kunst in Form der Illustration in Verbindung. Auch
hier liegt keine Vereinigung von Künsten vor, sondern nur ein Alter-
nieren von Kunstgenüssen, dessen Berechtigung in der objektiven
Möglichkeit, die Lektüre zu unterbrechen, begründet ist. Gegenüber
der reinsten Dichtkunst, der Lyrik, welche sich unmittelbar mit körper-
lichen Erscheinungen überhaupt nicht beschäftigt, ist die Illustration
in weit misslicherer Lage als gegenüber der Epik, ja sie ist in vielen
Fällen geradezu unmöglich. Daraus erklärt sich die Thatsache, dass
sie dort gewöhnlich verunglückt. Man denke sich z. B. Illustrationen
zu Heineschen Gedichten.
Die Schranke, welche die Dichtkunst von den körperlichen Er-
scheinungen trennt, ist für sie selbst ebenso unübersteiglich, wie für
die bildenden Künste. Hier, in dem Verhältnis der Künste zur Apper-
zeptionsthätigkeit, liegt also auch ein wirklich umfassendes Einteilungs-
prinzip für sie. Soll die letzte Kluft verschlossen und das ganze
menschliche Sein, das Leben und Treiben zu objektiver Kunstexistenz
gebracht werden, so giebt es dazu nur einen Weg: man setzt an Stelle
der sonst von den bildenden Künsten vorgestellten lebendigen Gegen-
stände wirkliche Individuen in einer wirklichen Umgebung, bez. in
einer nachgeahmten, welche als wirkliche scheint. Damit sind wir bei
der Kunstart des Dramas angelangt. Das Drama ist diejenige
Kunst, welche Handlungen in ihrer Totalerscheinung in
Raum und Zeit nachahmt. Wir fassen damit auch das Drama
nicht auf als eine Verbindung verschiedener Künste, sondern lediglich
als die objektive Realisierung eines Bildes in allen denkbaren Bezieh-
ungen der Erscheinung, welcher auf subjektiver Seite eine gleichzeitige
Thätigkeit der beiden ästhetischen Sinne und des Geistes entspricht.
Die räumliche Erscheinung muss freilich zum Teil durch bildende
Künstler hergestellt werden; allein hier handelt es sich doch nur um
Realisierung des Dramas.