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DIE
NACHAHMENDEN
KÜNSTE.
Wenn nun aber auch in der polychromen Skulptur nicht zwei
Kunstarten verbunden werden, so werden doch zwei Materialien ver-
einigt, und für eine solche Verbindung kommt das Gesetz der formellen
Einheit des Gegenstandes in Betracht. Dieses Gesetz wird jedoch
tischer "Malerei" sprechen" (Perrot), man hatte nur erst Skulptur und Illumination.
Die Konventionalität der Farben ändert aber bei der ersteren in weit geringerem
Masse die natürliche Erscheinung, als bei der letzteren. (Vergl. auch Pietschmann
im "Anhang" a. a. O. S. 879). Diese Thatsachen bestätigen das im Text Gesagte
mit Evidenz. Wenn nun Perrot ferner die ägyptische Bildnerei ob ihrer Polychromie
entschuldigen zu müssen glaubt, so kann ihm heute doch kaum mehr darin beige-
piiichtet werden, dass er zu dem Zweck anführt, die Ägypter hätten das herrliche
Material der Griechen, den Bildsäulenmarmor, nicht besessen. Denn die Griechen
bemalten ihn eben. Freilich wird dies von vielen Archäologen allemal da bestritten,
wo nicht Farbenreste an den Bildwerken erhalten sind. Indessen beruht dies auf
einer logisch falschen Auffassung von der Beweislast; man geberdet sich, als wenn
die Monochromie eine Thatsache sei, welche bis zum Beweis des Gegenteils in
jedem einzelnen Fall für wahr zu gelten habe. Allein die Monochromie ist geschicht-
liche Thatsache erst seit der Renaissance, während für die frühere Zeit weder nach
der einen noch nach der andern Seite eine Präsumption besteht. Die für die Mono-
chromie der antiken Plastik geltend gemachte Präsumption hat zum alleinigen Stütz-
punkt unsere Gewohnheit und einige ästhetische Behauptungen. Demnach ist hier
ohne jedes Vorurteil lediglich nach dem Grade der Wahrscheinlichkeit eines oder
des anderen Sachverhalts zu entscheiden; das für die Polychromie beigebrachte
Material ist aber in Anbetracht der Zerstörlichkeit der Farben ein geradezu er-
drückendes. Daher haben denn auch die Gegner der Polychromie auf geschicht-
lichem Gebiet Position für Position aufgeben müssen; Aussprüche wie der: „An der
Polychromie der antiken Skulpturen zweifelt heute niemand mehr, aber sind in
letzter Zeit nicht mehr selten, und ich habe mit einem gewissen Behagen dem Zeit.
punkt entgegengesehen, wo von archäologischer Seite erklärt würde, die allgemeine
Polychromie der antiken Skulpturen sei jetzt erwiesen. Dies ist denn auch in den
letzten Tagen geschehen: Herr Dr. A. Trendelenburg hat in einem öffentlichen
Vortrag die Erklärung abgegeben, dass wir die griechische Skulptur eben als eine
barbarische bezeichnen müssten, wenn wir die Färbung von Bildwerken für barbarisch
hielten, und hat implicite die durchgängige Bemalung derselben anerkannt. (Vergl.
Kölnisehe Zeitung von 1888, Nr. 52). Welche neuaufgefundenen, schwerwiegenden
Beweismittel diese Sinneswandlung des genannten Herrn hervorgerufen haben können,
seit er meine Schrift über die Polychromie rezensierte, ist mir gänzlich unbekannt
geblieben. Dem Bedürfnis eines negativen Moments, welches wir gegenüber
Werken der Skulptur in so hohem Grade haben, wurde bei den Griechen höchst
wahrscheinlich schon durch das blosse Postament genügt. Mir scheint, wer sich
dies nicht vorstellen kann, hat den Idealismus der Griechen nicht erfasst. Ich halte
es für angezeigt, hier ausdrücklich zu erklären,'dass ich durchaus nicht die Mono-
chromie der Skulptur, sondern kunstwissenschaftliche Theorien bekämpfe, welche
eine verkümmerte Form des ästhetischen Anschauens als die einzig richtige hin-
stellen und in dieser Absicht einer völlig unkünstlerischen Rekonstruktion der Antike
das Wort reden.