DIE
BILDENDEN
NACHAHMENDEN
KÜNSTE.
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noch die von ihm kritisierten Ästhetiker v. Kirchmann, Schasler,
Lazarus, Trahndorff etc. dies bemerkt haben. Wenn v. Hartmann
sagt, der "plastische" und der „malerische Schein" lasse sich nicht
vereinigen, so ist dieser Satz ganz richtig; allein eine solche Ver-
einigung würde nur beim relietierten Tafelbild stattfinden. Hier handelt
es sich um keine perspektivische Malerei, sondern um die blosse
Färbung eines Körpersß) Weil aber bei der Erscheinung der Gegen-
stände die Farbe einen wesentlichen Faktor bildet, indem uns dieselben
nur mit der Farbe und in ihr bekannt sind, indem wir sogar eine
hervorragend wichtige (innere, transparente) Form nur durch Farbe
sehen (das Auge), so ist ein unfarbiges Bildwerk das Bild einer Ab-
straktion, aber nicht das Bild einer sinnlich wahrgenommenen Erschei-
nung. Aus diesem Grunde ist die Monochromie das eigentlich Frag-
würdige, nicht die Polychromie. Die Skulptur ist ein Mittel der Nach-
ahmung von Körpern, und zwar im Prinzip ein Mittel der Nachahmung
dieser Körper in der Totalität ihrer sinnlichen Erscheinung, jedoch nicht
durch perspektivische, sondern durch räumlich reale Darstellung. Dass
dagegen die Abstraktion von der Farbe vollzogen werden kann und
darf, unterliegt keinem Zweifel. Allein es ist keineswegs wahrschein-
lich, dass die natürlicher empiindenden Menschen früherer Kultur-
epochen eine solche Abstraktion absichtlich vollzogen hätten. Das
Gegenteil ist als geschichtlich erwiesen zu betrachten. 2) In vTyrol
sieht man heutigen Tages noch kein unbemaltes Bildwerk, und vor
Michelangelos Zeit wurde im allgemeinen nur bei Bildwerken, deren
Epidermis die Bemalung überhaupt oder mit Rücksicht auf die Ent-
wicklungsstufe der Technik ausschloss, auf dieselbe verzichtet. 3)
I) Vergl. Schleiermacher, Ästh. S. 594 B".
2) Herr Dr. Adolf Trendelenburg hat sich in der "Vlfochenschrift für klassische
Philologie" (1886, Nr. 37) darüber lustig zu machen versucht, dass ich in meiner
zitierten Schrift die Ansicht äusserte, die Skulptur sei älter als das Zeichnen, schon
weil letzteres Reflexion voraussetze. Indessen befinden sich Leute wie Semper und
Rumohr (vergl. Ital. Forschungen I, S. 251) auf Seite dieser Ansicht.
3) Wenn Perrot, obgleich er die Masperdsche Theorie mit vollster Schärfe
vertritt, erwähnt, die Ägypter hätten zwar „ihre Statuen stets bemalt oder
doch aus Steinarten genommen, die von Natur eine Färbung besitzen," allein sie
hätten „v0n der Polychromie doch nur einen zurückhaltenden Gebrauch gemacht,
sich mit konventionellen, ungebrochenen Farben begnügt" (a. a. O. S. 711), so ist mit
seinen eigenen Worten darauf zu entgegnen, dass auch „die Malerei strenggenommen
in Ägypten niemals zu einer selbständigen und autonomen Kunst gßwßrdßn" ist
(Perrot a. a. O. S. 717) und dass sowohl die blossen Gemälde als die Flachreliefs
eine konventionelle Färbung hatten (Perrot a. a. -O. S. 718). Es gab keine
eigentliche Malerei, „es ist eine Art Missbrauch des Ausdrucks, wenn wir voniigyp-
Alt, System der Künste. 8