IIO
NACHAHMENDEN
KÜNSTE.
Nachahmung von Raumkörpern in ihrer vollständigen sinnlichen Er-
scheinung.
Diesen räumlichen Erscheinungen fehlt gar nichts, zumal wenn
sie in ruhendem Zustande auftreten; sie bedürfen keiner Ergänzung
durch die Phantasie. Die Behauptung, dass die bildende Kunst erst
mit Poesie zusammen etwas ganzes gäbe, ist in dem Fall einfach irrig.
Das Ganze der Kunst kann und soll jene nicht geben, sondern eben
nur den Anblick von räumlichen Erscheinungen, Welche in irgendwelcher
Beziehung schön sind.
Eine Vereinigung mehrerer Prozeduren zur Erzeugung eines räum-
lichen Bildes ist nach dem Gesetz der (formellen) Einheit des Gegen-
standes in den meisten Fällen unthunlich, so oft nämlich die Werk-
stoffe durch eine Eigentümlichkeit in der F ormbehandlung an den
Kunstgebilden erkennbar bleiben. So z. B. geht es unter gewöhnlichen
Verhältnissen nicht an, Aquarellmalerei und Ölmalerei oder Fresko-
malerei und Ölmalerei in einem Bilde zu vereinigen. Aus dem Ver-
hältnis der Malerei, als blosser Flächenkunst, zur Skulptur als räum-
lich schaffender Kunst geht hervor, dass es ferner unthunlich ist,
diese beiden Künste zu einem Bilde zusammenwirken zu lassen.
Denn erstens fixiert die Malerei die Lichtquelle im Bilde durch die
Lage der Schatten. Wollte man nun, wie dies manchmal vorgekom-
men ist, in einem Tafelgemälde körperlich hervorragende Teile an-
bringen, so wären die realen Körper dem Wechsel der Tagesbeleuch-
tung unterworfen, wodurch sie sich, ausser in einem einzigen Zeit-
moment, mit der Lichtquelle im Bilde in unlösbaren Widerspruch
setzen würden. Denn die Phantasie erträgt nach dem oben aufgestellten
Grundsatz keine Verletzung der für dasjenige, was erscheint, gelten-
den Naturgesetze. Zweitens und aus demselben Grunde kommt in
Betracht, dass sich beim Relief zufolge der Körperlichkeit der Figuren,
auch wenn dieselbe, wie beim Flachrelief, eine reduzierte ist, die Pro-
file drehen, je nachdem der Beschauer seinen Standpunkt wechselt.
Infolgedessen verändern sich die Überschneidungen der Figuren in
diesem Fall körperlich, während der Inhalt des Gemäldes lediglich
schmäler oder breiter Wird. Endlich stehen Malerei und Plastik über-
haupt in einem verschiedenen Verhältnis zum perspektivischen An-
schauen.
1) Vergl. hierüber G. Hauck, Die malerische Perspektive, Berlin 1882. Die
Malerei ist genötigt, die Scenerie des Bildes zentralperspektivisch wiederzugeben,
während sie dem Umstand, dass dem Beschauer nicht das Verbleiben auf einem
einzigen Standpunkt zugemutet wird, dadurch Rechnung trägt, dass sie die neben-