BIÖGLICHKEIT
DER
VEREINIGUNG
VERSCHIEDENER
KÜNSTE.
niessenden, wenn es in jeder Richtung zur Wirkung gelangen soll.
Keinesfalls aber kann ein Grund vorliegen, dass wir die Schönheit der
Raumerscheinung zurückweisen, wenn sie keine selbständige Betrach-
tung beansprucht und nur in der Absicht, geschaffen ist, den all-
gemeinen Eindruck nach keiner Seite hin gestörter Vollkommenheit hervor-
zubringen. Man kann daher den Satz aufstellen, dass ein Gegen-
stand in jeder Beziehung schön dargestellt werden darf,
in welcher er überhaupt schön erscheinen kann; oder, bezüg-
lich der Kunstarten: dass ein Zusammenwirken verschiedener Künste
auch mit Rücksicht auf ihre eigentümliche Schönheit möglich ist, wenn
jede derselben sich an die ihr zugängliche Seite eines und desselben
Gegenstandes hält. Bei der praktischen Anwendung dieses Satzes im
einzelnen Fall muss man sich aber selbstverständlich der Bedingungen
bewusst bleiben, unter welchen wir ihn hergeleitet habenß)
Zwei verschiedene zeitliche Einheiten lassen sich niemals
im Geiste zusammen auffassen. Wenn und insofern also einegeistige
Einheit der Musikstücke betrachtet wird, so verhält es sich gerade wie bei
einem Gedicht. Und wenn die Musikstücke stets formale Gebilde sind
und daraufhin betrachtet werden müssen, (nach Art einer bandförmigen
Arabeske), so sind sie in jedem Fall etwas andres, als ein Gedanken-
gang; dann lassen sich also ein Musikstück und ein Gedicht über-
haupt niemals zusammen geniessen, weil selbst unter der Voraus-
setzung eines fortwährenden Alternierens von Teileindrücken (nach
dem Schema. abababab eine Zusammenfassung der Teile zu
ihrer Einheit (aaa bbb auch durch das Gedächtnis nicht mög-
lich ist.
Dagegen ist hier noch zweierlei möglich. Ein blos sinnlicher
zeitlicher Eindruck beansprucht keine geistige Zusammenfassung und
kann empfunden werden, während andre Sinne und der Geist gleich-
zeitig thätig sind. Wenn und insoweit also abgesehen von einer for-
malen Einheit der Musikstücke ein blosser Sinneneindruck derselben
erfolgen kann, ermöglichen sie auch einen neben dem Anhören eines
Gedichtes hergehenden Genuss. Sodann aber gibt es vielleicht doch
irgend eine Seite des Gegenstandes des Gedichtes, welche auch musi-
I) E. v. Hartmann drückt diesen Satz (a. a. O. S. 568) in seiner YVeise so aus;
„NVarum soll nicht derselbe ideale Gehalt durch Ohrenschein, Augenschein und
Phantasieschein zugleich verwirklicht werden können, wenn jede Art des ästhetischen
Scheins sich an die ihr zugängliche Seite des idealen Inhalts hält?" Dies ist voll-
kommen richtig; übrigens aber ist, wie wir gesehen haben, die Sache durchaus
nicht so einfach, wie sie sich hiernach ansieht, namentlich bezüglich des "Ohren-
Scheins."