1v. DIE MÖGLICHKEIT DER VEREINIGUNG VERSCHIEDENER KÜNSTE. 97
Trachten der Künste, sondern nur einen Wunsch des Menschen, sie
zu verbinden. Wir dürfen wohl annehmen, dass von einem Trieb der
Kunstarten als das gegenwärtig angeschaute Kunstwerk sie vertritt: zu schönen
Statuen fühlt Vischer Musik und erblickt darin ein tiefes Geheimnis. Aber wenn
ihm auch alle Künste in einer idealen Verbindung erst wahrhaft leben, so be-
deutet ihm die konkrete Verbindung doch schlechthin ein ästhetisches Unding
(Ästhetik S3 542-544). Nach Trahndorff ist das Gesamtkunstwverk ein allen
Künsten ursprünglich innewohnendes Ziel, welches aus der „organischen Einheit des
inneren Lebens der Kunst" entspringt (vergl. v. Hartmann a. a. O. S. 129 Hi).
A. Zeising nennt jede Einzelkunst "einen einzelnen Strahl der sich in sich selbst
differenzierenden und an der Verschiedenheit des Materials brechenden Schönheits-
oder Kosmosidee." Dabei ist verdienstlich die Betonung des Materials, und wichtig
sein sogleich hinzugefügtes Bekenntnis, dass die allgemeine Schönheitsidee als
Universalidee keine Wirklichkeit besitze. In der That kann sie uns nichts nützen,
während es niemand benommen werden soll, sich in ihre Anschauung zu vertiefen.
E. v. Hartmann hat (a. a. O. S. 556 ff.) bei Erörterung der Zeising'schen Auf-
fassung seine Ansicht dahin ausgesprochen, dass "nicht die universale Idee der
Schönheit" sich in Ideen der einzelnen Künste sondere, sondern dass „die konkrete
Idee, die dem Universum immanent ist," in verschiedenen Künsten einen einseitigen
ästhetischen Ausdruck gewinne, und dass daher das Streben stamme, durch Ver-
einigung der verschiedenen Erscheinungsformen derselben konkreten Ideen aus verschie-
denen Gebieten des "ästhetischen Scheins" eine kombinierte und deshalb vielseitigere,
also auch vollständigere und erschöpfendere Gesamterscheinung der konkreten Idee
zu erreichen. Hieran ist soviel richtig, dass bei der Vereinigung von Künsten die
möglichste Vollständigkeit eines Bildes bezweckt wird. Unter der konkreten Idee,
„die dem Universum immanent" ist, braucht dann aber für die vorliegende Frage
nichts weiter verstanden zu werden, als der Gegenstand eines einzelnen Bildes.
Nach dem Vorgang Gustav Engels (Ästhetik der Tonkunst) führt v. Hartmann nun
weiter aus, dass die Vereinigung mehrerer Künste zulässig ist, weil dieselbe zwar
„notwendig mit einer Einbusse jeder einzelnen Kunst verknüpft" sei, weil aber an-
dererseits auch jede Einzelkunst „den Widerspruch in sich trage, als Kunst das
Schöne in seiner Totalität geben zu wollen und doch als Einzelkunst es nur in
einer bestimmten Einseitigkeit geben zu können." „Das Schöne in seiner Totalität"
werde in Wahrheit erst erreicht durch die "intellektuelle Zusammenfassung all
seiner historischen Erscheinungen." Mit dem letzteren Hinweis ist uns hier nichts
geholfen. Denn es giebt zwar eine Bekanntschaft mit allen historischen Erschei-
nungen des Schönen, welche das Ziel der Kunstgeschichte ist; eine Zusammenfassung
derselben ist jedoch nicht vollziehbar. Diese Ansicht bedeutet auch einen Rückfall
in den von v. Hartmann mit Recht so scharf bekämpften "abstrakten Idealismusf
denn sie statuiert doch wohl eine Universalidee der Kunst. Ob ferner die einzelnen
Künste für sich in der That immer nur mangelhaft wirksam sind, bleibe dahingestellt.
Denn sobald einmal die Vollständigkeit eines zu erzeugenden Bildes der entscl1ei-
dende Gesichtspunkt für unsere Frage iSt, kann sie nicht mehr damit böüntwürtef
werden, dass man die angebliche ltlangelhaftigkeit der einen Verwendungsart der
Künste mit der Mangelhaftigkeit der anderen entschuldigt. Wir fragen hier nicht,
ob bei der Vereinigung von Künsten eine Einbusse derselben entsteht, sondern ob
sie fehlerhaft ist oder nicht, und etwas fehlerhaftes ist in der Kunst niemals zulässig.
Alt, System der Künste. 7