MANIER
UND
VIRTUOSITÄT.
überhaupt nicht für ein notwendiges Merkmal des Genius. 1) Ganz
unerfindlich ist, warum der Meister als solcher eine neue Technik
erfinden müsste, wie Vischer meint; überhaupt könnte es sich dabei
nur um eine Manier handeln.
Ebenso, wie man den Künstler überhaupt statt des Kunstwerks
zum Gegenstand des Interesses machen kann, kann dies auch geschehen
rücksichtlich seiner blos technischen Fähigkeit. Es besteht kein Streit
darüber, dass dies falsch ist. Die spielende Bewältigung der tech-
nischen Schwierigkeiten, welche die Versetzung eines bereits conzi-
pierten Kunstwerks in die äussere Erscheinung bereitet, nennt man
"Virtuosität." Dieselbe stellt allerdings eine Seite der Meisterschaft
dar und ist in diesem Begriff enthalten. Sie kommt aber bei den-
jenigen Künstlern nicht in Betracht, welche jene Arbeit nicht selbst
besorgen, wie der Componist oder Dramatiker, dagegen wohl beim
Maler oder Bildhauer. Es enthält demnach auch durchaus keinen
Tadel, sondern ein entschiedenes Lob, wenn bei diesen Künstlern von
einer virtuosen Technik gesprochen wird. Das Gefühl eines meister-
haften Hervorbringens des Gegenstands schafft ein besonderes Genügen,
wenn es aus diesem selbst bemessen wird. Aber man kann nicht die
Virtuosität als solche und losgelöst von dem Gegenstand ästhetisch
würdigen. Hier bleibt nur das kindische Anstaunen einer fremden
Fähigkeit übrig. Deshalb ist es verwerflich, („virtuosenhaft"), wenn
das Verhalten des Künstlers augenscheinlich auf den letzteren Zweck
abzielt.
Missgriffen auch einige grosse und reine Erfolge erzielt. Die Umgebung, in
welche Eduard v. Gebhardt seine Heiligen zu versetzen pflegt (Kostüm der
Renaissance), bildet für uns eine pure Antiquität, welche des vernünftigen Sinnes
entbehrt.
1) Vergl. Adolf Friedrich Graf v. Schack, "Meine Gemäldesaxnmlung", 2. Auf-L,
Stuttgart 1882, S. 97 ff.