DER
STIL.
Eine Veränderung der- Bedingungen der Klassizität wird keine
Zeit und keine Individualität jemals bewirken. An uns aber ist es,
denselben die vermehrte Fülle der Erscheinungen anzupassen, welche
unsere Zeit dem Künstler zur Verarbeitung entgegenbringt. Was sie
von der Antike durchaus unterscheidet und worin ihr grosser und für
alle Zukunft entscheidender Fortschritt besteht, das ist ihr unbegrenzter
Reichtum an Ideen, welche sie den verschiedensten Zeiten der Ge-
schichte des Menschengeschlechts entnimmt. Anthropomorphe Götter
kennen wir nicht; jedoch behalten die Kunstwerke, in welchen die
Griechen ihre Götter dargestellt haben, für uns den Wert unüber-
trefflicher Allegorien von typischen Charakteren des Menschen und
einer Offenbarung der göttlichen Absicht in seiner Gestalt.
MANIER
UND
VIRTUOSITÄT.
Den Begriff der Manier haben wir bereits in seinem Zusammen-
hang mit dem Stilbegriff festgestellt.
Die charakteristischere Manier wird der Grenze des objektiv Unzu-
treffenden näher stehen, "als die subjektiv weniger bestimmte. Gewisse
berühmte Realisten stehen derselben näher als andere Meister. Dann
besteht ganz das analoge Verhältnis, welches wir an der spätgotischen
Skulptur im Verhältnis zur romanischen gefunden haben. Bei einem
störenden Überwiegen der Subjektivität in der Darstellung giebt man
dem Wort Manier einen tadelnden Sinn und spricht von nmanieriert."
Es ist aber sicher, dass selbst bei den bedeutendsten Künstlern eine
allmähliche Annäherung an die Grenze des Zulässigen, ja eine Über-
schreitung derselben stattfindet, wie es z. B. bei dem alternden Goethe
der Fall war. Dem Meister sehen wir es jedoch gerne nach, wenn
seine Werke auch einmal Absonderlichkeiten zeigen.
Man verwendet das Wort Manier mitunter statt des Wortes Stil
(im subjektiven Sinn), indem man auf die Erscheinung einer subjektiven
Ausführung, dass sie historisch und in sich selbst falsch sei, weil die Antike sich
ebensowohl der Malerei als der Plastik bediente und weil beide lediglich verschie-
dene Darstellungsformen desselben Inhalts seien. Und dabei ist kaum anzunehmen,
dass Rinnohr die antike Plastik schon als farbig ansah. Dass die Malerei für unser
Bedürfnis nach inhaltlich reicheren Darstellungen praktisch brauchbarer und inso-
fern moderner ist, als die Plastik, wird nicht in Abrede gestellt.