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III.
DER
STIL.
Haupthaars, gern einverstanden erklären, soweit sie nicht das Dar-
stellungsgebiet der Plastik überschreiten. Ausserdem aber kann der
moderne Künstler Neues nur bieten durch die Nachahmung derjenigen
Gegenstände, welche seine Zeit ihm an die Hand giebt und durch die
Verkörperung des Schönheitsideals der eigenen Nation. Doch auch
das letztere wird sich, sei es angeboren oder anerzogen, von dem-
jenigender Antike wenig genug unterscheiden.
Unter Klassizität versteht man die Mustergültigkeit schlechthin.
"Klassisch" ist also das als objektiv feststehend betrachtete Schöne
sowie seine in ihren imitativen Voraussetzungen wahre und technisch
korrekte Darstellung. jene Eigenschaft käme eigentlich immer nur
der platonischen Idee zu, wenigstens bezüglich der organischen Körper.
Die hierdurch bedingte unleidliche Beschränkung der Kunst heben wir
aber auf, teils indem wir geringe Abweichungen von der Idee ge-
statten, teils indem wir uns mit der Darstellung konkreter Ideen be-
fassen, wie bereits in einer früheren Abhandlung dargethan wurde.
Letzterenfalls kann die Klassizität eben nicht mehr im Dargestellten,
sondern nur noch in der Art und Weise der Darstellung gesucht werden.
Man hat dem Klassischen das "Romantische" gegenübergestellt,
als mit demselben in Widerspruch befindlich und doch für ein abso-
lutes Urteil gleichberechtigt. Allein entweder ist das eine oder das
andere, vielleicht auch beides nicht der Fall. Die Unklarheit dieser
Einteilung stammt daher, dass man für verschiedene geschichtliche Er-
scheinungen in ihrer Totalität bestimmte Bezeichnungen wählte und
dieselben dann als ästhetische Begriffe verwendete. Es ist aber nicht
alles klassisch, vielleicht sogar manches romantisch, was die Antike,
und manches ist klassisch, was das Mittelalter hervorgebracht hat; des-
gleichen sind manche Dichtungen der modernen Romantiker tadellose
Kunstschöpfungen, und ich wüsste nicht, in "welchem wesentlichen
Punkte Shakespeare oder das Nibelungenlied nicht klassisch wäre.
Gemeinhin nennt man romantisch Darstellungen, seien es Dramen,
Gemälde oder Bauwerke, welche sich einer im Mittelalter entstandenen
Form bedienen oder in welchen nur irgend etwas vom Mittelalter,
damalige Erscheinungen oder Gepflogenheiten, vorkommt. Allein die
Form ist entweder tadelfrei oder nicht, und ersternfalls ist sie klassisch,
wenngleich sie dem Mittelalter angehört; die Verschiedenheit des Gegen-
stands aber kann nicht die geringste Verschiebung der allgemeinen
Prinzipien bewirken, nach welchen wir die Schönheit eines Kunstwerks
beurteilen. Wenn es hochkommt, versteht man unter "romantisch"
eine durch das Christentum bewirkte vermehrte Betonung des seelisch,
des innerlich Schönen. Es muss zugegeben werden, dass die Kunst