die mittlere in Bewunderung aufblickend und die Schwestern um-
Schlingend, die vorderste mit beiden Händen dem Sänger eine Perlen-
schnur anbietend. Am Üfer harrt ihm Thetis entgegen, und hinter
ihr horcht eine Nymphe aufmerksam zu, beschämt verdeckt sie
mit beiden Händen ihre Lyra; denn ihre Saiten sind nur zwischen
rohen Koralleniisten aufgezogen und unten mit einem Dämpfer
belegt, sie können nicht frei erklingen und sind nicht von mensch-
licher Kunst beseelt. Bloß Naturklänge gleiten über sie hin: das
leise Flüstern der WVellen, die Alten nannten es der Wogen Ge-
lach," das Rieseln des Quells, das Plätschern und Rauschen des
Baches ist die eigentümliche Musik der Nymphen, daher sie Wogen
wälzende und Ufer bespülende Musen oder Leibetrien und Heilis-
siaden 48 genannt und durch die Korallen-Lyra bezeichnet sind.
Von Arions Lyra heißt es aber: „die Cither lebt" in seiner
Hand", in ihr erklingt nicht der eintönige Hauch der Natur, in
ihr lebt die rhythmische Freiheit der menschlichen Kunst, die
lyrische Poesie. Nur durch das Gesetz des Schönen gebunden
strömt der Rhythmus der griechischen Lyrik in einer Lebendigkeit
und Fülle des Versbaus, der Strophenbildung und der Strophen-
Systeme, wie sie keine andre Dichtungsart aufzuweisen hat. Wer
ist aber die seltsame Gestalt in unserm Gemälde, die jene hellenische
Lyra schlägt? Wer ist der menschliche Sänger, dem die Gottheiten
des Meeres lauschen und mit ihren Gaben huldigen, der jedoch
ihren Beifall und ihre Geschenke unbeachtet läßt? WVer ist Arion?
Die Geschichte erzählt von ihm," dafä er in der letzten Hälfte
des 7. Jahrhunderts v. Chr. den Dithyrambus erfand, eine lyrische
Dichtungsart, aus deren Blüte nachmals die attische Tragödie
gleichsam als die reife Frucht der griechischen Lyrik hervorging,
dalä er ferner zur Verbreitung seiner Erfindung Reisen in die west-
griechischen Kolonien unternahm und sich an den Höfen der
sizilischen Fürsten und in den Handelsstädten Großgriechenlands
Reichtümer erwarb. Die Sage fahrt nun fort: Als Arion von
Tarent nach dem Peloponnes zurücksegelte, bemächtigten sich die
Schiffsleute seiner Schätze und Wollten den Sänger ins Meer werfen".
Dieser erbat sich aber von ihnen die Gunst, seinen Schwanen-
gesang anzustinimen und die Lyra, „die Gefährtin seiner Stimme",
in das Schattenreich mitzunehmen. Als er den Gesang geendet,