der Einschränkung und Zügelung, des Niederhaltens des Niedrigen
ergibt. Hingegen die mittlere Seelenthätigkeit des thatkrättigen
Wollens besitzt den positiven Wert der Tapferkeit, und die erste
denjenigen der Weisheit oder Besonnenheit; daher die einfache
Tugendlehre des platonischen Staatsmanns nur die positiven Be-
griffe der Menschenwürde, die Tapferkeit des Wollens und die
Sophrosyne im Sinne der vernünftigen Besonnenheit aufstellt. Die
höchste unter den Tugenden des platonischen Staates, die Gerechtig-
keit, hat keine reale Kraft der Seele zur Grundlage, sondern ist
ein reiner Verhiiltnisbegriii] welcher das Ebenmaß unter den drei
sittlichen Grundkräften bedeutet und ebenso die Vielgeschäftigkeit
oder Polypragmosyne vom Organismus des sittlichen Gesamtlebens
lernhiilt, wie die sittliche Weberkunst im Staatsmann die Ein-
seitigkeit ihrer Ausbildung davon abwehrt. Platon stimmt also
in den beiden Formulierungen seiner Tugendlehre mit sich selbst
vollkommen überein; zwar hat er durch verschiedene Zahlen und
Namen der Tugenden wohl den Anlafä, aber doch keinen Grund
zum Zweifel an dieser Uebereinstimmung oder gar an der Echtheit
des platonischen Staatsmanns gegeben.
Thorvaldsen stimmt jedoch mit sich selbst nicht überein, wenn
er die Sorge für das körperliche W ohlbeiinden, die Hygiene, an
die Seite der sittlichen Ideen der Gerechtigkeit und Weisheit setzt
und dadurch die Gesundheit des Geistes, welche schon das Wort
in allen Schattierungen seiner Bedeutung ausdrückt, von jener
Stelle verdrängt. Gleichwohl bleibt Thorvaldsens Verdienst un-
geschmälert, in der künstlerischen Darstellung der platonischen
Kardinaltugenden der erste gewesen zu sein, der diesen unzählige
Mal vor ihm behandelten Vorwurf anders als durch abstrakte
Allegorien vor Augen gestellt hat. Er hat auch seine vier Tugenden
ebenso wenig aus der Quelle, d. h. aus dem platonischen Staat
geschöpft, als er sogar das von ihm entdeckte antike Reliefbild
der Sophrosyne, zwar durchaus nicht im Widerspruch mit der
platonischen Quelle, d. h. mit dem Staatsmann, aber doch erst im
Geiste Michelangelos erfalät und umgestaltet hat. Es gibt keine
philosophische Lehre, die gleich der vollendeten Form der plato-
nischen Kardinaltugenden in den verschiedenen Zeitaltern und Ge-
bieten der Kultur eine so vielgestaltige Anwendung und Verbreitung