in engerer Bedeutung Sophrosyne oder Gesundheit des Geistes
genannt hat.
Die Griechen verbanden mit dem Wort Sophrosyne einen
mehrfachen Sinn. Das einfache Bewutätsein des Volkes machte
sich sein Ideal des sittlichen Lebens nur klar durch sein Gegenteil,
die Hybris, und verstand unter dieser die Willkür und Verblendung;
der Leidenschaft, die das in der eigenen Brust vernommene religiös-
sittliche Gefühl und Urteil verdunkelt und nicht vernünftig über-
legt, sondern nur vernünftelt, d. h. Scheingründe sucht für das,
was sie vor aller Ueberlegung begehrt und will. So bedeutet die
Sophrosyne die gesetzliche Freiheit der Person im Gegensatz zur
gesetzlosen Freiheit der Willkür. Nach den glorreichen Erfolgen
der Perserkriege wurde das Ideal des persönlichen Lebens über-
tragen auf den nationalen Gegensatz hellenischer Freiheit als des
besonnenen Maßes zur Hybris des persischen Despotismus, und
in dieser Gestalt ist uns die volktümliche Anschauung der Sophro-
syne überliefert sowohl von dem Dichter Aeschylos in seiner
Tragödie „die Perser" als von dem Geschichtschreiber der Perser-
kriege, Herodot. Der Philosoph Platon aber verdeutlichte auch
das nationale Sittenideal der Sophrosyne, das durch den Gegensatz
zur Hybris nur klar gemacht worden war, er zerlegte es in seine
dialektischen Momente sowohl in der einfachen Gestalt seines Dialogs
„der Staatsmann" als in der entwickelten Form seines Hauptwerkes,
„der Staat", und unterschied in beiden Gestalten die idealen Wert-
begriife von den realen Kräften der Seele, hielt jedoch in allen
Unterschieden und Modifikationen die Einheit der Person und ihres
charaktervollen Wertes, der Tugend fest. Auch das nationale Wort
Sophrosyne behielt er in beiden Gestalten seiner Tugendlehre bei,
aber in verschiedener Bedeutung. Im Staatsmann übersetzt es
Schleiermacher zutreffend durch Besonnenheit, im Staat aber durch
Mäßigung; dort bezeichnet es den persönlichen Wert der höchsten
seelischen Kraft, des vernünftigen Denkens und Wissens, hier
(lenjenigen der niedersten Seelenthätigkeit, des sinnlichen Eniplindens
und Begehrens, der Leidenschaften und Affekte, der Begierden
und Triebe. Diese niedere Kraft der Seele wird in der einfachen
Gestalt der Tugendlehre nicht unterschieden, weil sie nur den
negativen Wert, zwar nicht der Abtötung oder Aszese, aber doch