über drei Jahrhunderte hinweg vorausgreift und dem Rationalismus
Kants die Hände reicht.
Die schräg über das Gewölbe hingleitende Gesichtslinie des
Propheten Jonas vollendet, was durch den reinen Aufblick zum
Ewigen im Auge des vernunftbegabten Adam eingeleitet war, sie
beherrscht die geschichtliche Entwickelung des allartigen Lebens,
deren Keime der Schöpfer in Hand und Auge, in Willen und
Vernunft des ersten Menschen gelegt hatte, und bedeutet die vor-
christliche Wiedergeburt des Menschentums, das durch die eigen-
willigen Handlungen der Protoplasten (im Sündenfall) und ihrer
Nachkommen (in der Sintflut) entartet war, aber durch die Antike,
d. h. durch die Wissenschaft und Kunst der hellenischen Denker
und Dichter und durch die universale Tendenz des macedonisch-
römischen Hellenismus auf die christliche Wiedergeburt des religiös-
sittlichen Lebens vorbereitet und dazu heraufgeläutert wurde.
Auch die moderne Wiedergeburt des Menschentums und der
Antike, die wir schlechthin die Renaissance nennen, hatte herrliche
Blüten und Früchte eines allartigen Lebens in Wissenschaft und
Kunst gebracht, und Michelangelos Gemaldecyklus in der Sistina
war es eben, welcher jene vorchristliche Wiedergeburt in ihrer
tiefsten Bedeutung und Beziehung zum Christentum entfaltet hatte.
Aber der Künstler erlebte im mediceischen Hause selbst auch die
Entartung des philosophischen Humanismus, der von diesem Fürsten-
hause gegründet worden war, und mit derselben Kraft und Tiefe
seines Meißels brachte er in seinen Grabdenkmälern der Mediceer
auch sie zur künstlerischen Darstellung, wie er in den Farben-
gestalten der Sibyllen und Propheten die vorchristliche Wieder-
geburt der Humanität verherrlicht hatte. Die beiden letzten legitimen
Sprölälinge des Hauses, Giuliano und der jüngere Lorenzo, Waren
gestorben, und auf den Trümmern der alten demokratischen Ein-
richtungen der florentinischen Republik hatte der Mulatte Alessandro
idei Medici seine Gewaltherrschaft gegründet. In der lyrischen
Stimmung eines Sonetts hat Michelangelo seinem republikanischen
Schmerz über die Vergewaltigung seiner Vaterstadt Worte geliehen,
aber sein klares sittliches Urteil über die Entartung des mediceischen
Hauses in der Marmorschrift der Mediceergräber zur sichtbaren
Erscheinung gebracht. In seinem malerischen Cyklus der Sistina