Volltext: Der Humanismus in der Kunst

 der Uebermenschen, wie sie die Modephilosophie unsrer Zeit, 
die sog. Herrenmoral zu nennen beliebt. Vernunft und Wille, die 
Herrschaft der Vernunft über die Stärke des Wollens ist der voll- 
ständige Ausdruck der Menschenwürde, das wahre Wesen des 
Menschentums und der Antike, der Sokratik Platons gegenüber 
der Sophistik des Altertums und der Gegenwart. Diese Wieder- 
geburt, diesen philosophischen Humanismus haben Michelangelos 
Pinsel und Meißel in der sistinischen Kapelle des Vatikan und an 
den Grabdenkmälern der mediceischen Kapelle in Florenz zur An- 
schauung gebracht. Die selbstherrliche Vernunft gehört wie der 
Wille zu den Keimen eines allartigen Lebens, die nach den Worten 
Picos der Schöpfer in die Seele Adams gelegt, auf daß sie in ihr 
zur Entwickelung gelange und aufblühe und Früchte trage. Das 
Auge ist nach dem platonischen Mythos, den der Dichter Michel- 
angelo öfter erwähnt, unter allen Sinnen das reinste Organ der 
Seele, wodurch sie in ihrem Zustande der Präexistenz die ewigen 
Ideen schaute. Auch das Auge des vernünftig beseelten Adam 
versenkt sich in die Anschauung der Gottheit als des Ideals der 
Vernunft, und Haupt und Antlitz folgen der mächtigen Anziehungs- 
kraft des Auges, und zwar in reiner Hingebung ohne eine Spur 
der Hemmung und des Widerstrebens, das die Geberdensprache 
der Hand verraten hatte. Die begierdelose und willenlose Herr- 
schaft der Vernunft, ihre gesetzgebende Stellung tritt in der Mienen- 
sprache Adams sichtbar hervor. 
WVas der Schöpfer mit dem Willenskeim ins" Herz des ersten 
Menschen gelegt hatte, die Entartung des Willens, verwirklicht 
sich im Sündenfall. Adam streckt selbstwillig die Rechte empor 
und bricht mit eigener Hand die verbotene Frucht des Paradieses, 
während Eva den von der Schlange dargereichten Apfel in ihre 
begehrend entgegengehaltene Linke herabgleiten läßt. Doch wie 
die Entartung in der Hand des neubeseelten Adam vorbereitet 
war, so liegt auch seine Wiedergeburt, das erlösende Moment, in 
Seinem Auge, das widerstandslos das Auge des Ewigen geschaut 
hatte. Die gefallenen Stammeltern sind zwar aus dem Paradies 
verstoßen, und sehnsüchtig blickt Eva dahin lzurück, aber Adam 
schreitet vorwärts und wendet sein Auge auf die weite Erde, die 
einen unerschöpflichen Reichtum der Mittel den Zwecken seiner
	        
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