ihren eigenen Willen und können nicht eigenwillig abfallen vom
Willen des Schöpfers: sie können nicht entarten. Der Mensch
allein kann entarten, wenn er den Unterschied vom ewigen Willen
erkennt und diesen nicht freithätig als den eigenen anerkennt.
In den gleichen Gegensatz stellt Goethe seinen Faust zu den Erz-
engeln, welche die „unbegreillich hohen Werke" der Schöpfung
bewundern, aber nicht begreifen können, während Faust sie be-
greifen will. Die gemeinschaftliche Quelle dieser Anschauung Picos
und Michelangelos, wie Goethes, ist der Kirchenvater Augustinus.
in seiner Lehre von der christlichen Wiedergeburt, und diese ver-
dankt er seiner neuplatonischen oder, wie er selbst sie nennt,
akademischen Bildung. Durch die Geberde des vom Schöpfer be-
seelten Adam spricht der Künstler den selbstherrlichen Willen des
Menschen aus, der nach den Worten Picos ebenso gut herabsinken,
als sich zum Ewigen emporläutern kann, er nimmt von der Herz-
seite seinen Ursprung und hebt in allmiihlicher Entwickelung den
linken Arm und die Hand empor zu dem straff und gebietend
entgegengestreckten Zeigelinger des Schöpfers, aber beide Glieder
und die linke Körperseite folgen zögernd dem göttlichen Gebote,
eine widerstrebende Macht läßt sie leicht zurück- und abwärts-
gleiten. Besonders die Hand richtet sich geheimnisvoll vom gött-
lichen Finger angezogen aufwärts, aber der Zeigefinger krümmt
sich in leiser Biegung abwärts, folgend der materiellen Kraft der
Schwere: in ihr ist der Sündenfall schon vorgebildet.
Die selbstherrliche Willensmacht hat Michelangelo in der
Geberde Adams so ausgeprägt, wie sie Pico als das Kennzeichen
der Menschenwürde beschrieb, in der Mienensprache Adams hat
er aber ebenso klar die selbstherrliche Vernunft des Menschen vor
Augen gestellt und diese vermissen wir ganz in Picos Dar-
stellung der Menschenwürde. Dieser Mangel hat es verschuldet,
datä jetzt häufig das Menschentum, zu welchem das Zeitalter der
Renaissance zurückkehrte, nur als willensstarke Persönlichkeit ver-
standen wird, als die Energie der Leidenschaft, welche die reichen
Mittel des Wissens und der Bildung sich zu Gebote stellt, um die
Macht des Rechtes und der Sitte zu leugnen und schrankenlos
das Recht der Macht zu behaupten. Und in der That kennt die
Geschichte jener Tage eine große Zahl solcher Gewaltherrscher