ln der Kunst Michelangelos prägte sich der philosophische-
oder platonische Humanismus nicht bloß anschaulich und lebendig,
sondern sogar reiner und vollständiger aus als in der Litteratur
und Wissenschaft. Jakob Burckhardt in Basel lenkte zwar in seinem
verdienstvollen WVerke: ,Die Cultur der Renaissance" zuerst die
wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf ,die Rede" Picos von Miran-
dola: „Über die Menschenwürde." Währendwir aber in jenem philo-
sophischen Haupte der platonischen Akademie in Florenz den
Urheber des philosophischen Humanismus erkennen, schöpfte dieser
Kulturhistoriker daraus einen nicht minder unangemessenen Begriff"
der Renaissance, als jener landläufige Begriff des Humanismus un-
adäquat ist. da er gewöhnlich auf einen zu engen Umfang einge-
schränkt wird, und hatte den zweifelhaften Erfolg, daß heute viele-
wissenschaftlich Gebildete die ursprüngliche Bedeutung der Renais-
sance als veraltet ansehen und nur die Wiedergeburt des Menschen-
tums und zwar nicht immer des edeln Menschentums, der Humanität
darin finden, oder daEi sie nur den theoretischen Begriff des Menschen--
tums, hingegen gerade die Menschenwürde oder den praktischen
Begriff desselben nicht erkennen wollen. So bildete sich auch noch
von einer andern als von der gewöhnlichen Seite her ein zu enger
Begriff des Humanismus, der seinen Standpunkt der Beurteilung
Jenseits von gut und bös" aufsucht und möglicher Weise die
Brutalität der Gewaltmenschen und Gewaltherrscher einschließt, die
Humanität oder Menschenwürde aber ausschließt. Diese Einseitigkeit
ist, wenn auch nicht verschuldet, doch veranlaßt worden durch den
bestimmenden Einflulä, den das Werk J. Burckhardts während einem
Menschenalter auf die historische Ansicht ausgeübt hat. Es brachte
einen zu engen Begriff der Renaissance zur Geltung, indem es die
Bedeutung einer Wiedergeburt der Antike leugnete und nur die
Wiedergeburt des Menschentums anerkannte, die durchgreifende
Einwirkung der platonischen Philosophie auf die Kunst und Poesie
des Zeitalters aber gänzlich übersah.
Picos berühmte Rede von der Menschenwürde, worauf sich
diese Ansicht gründet, will nicht, wie es Platon von dem Philo-
sophen fordert, den Begrif des Menschen überhaupt bestimmen,