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In diesem Zusammenhange möchte ich sie bitten
auch die Frage der deutschen Kunstbildung zu be-
trachten, damit wir auch in dieser Sache von vorn-
herein das Ziel im Auge haben, auf das wir mit
unserer nationalen Erziehung hinaus müssen: Die
Deutschen der kommenden Geschlechter an eigener
Gesittung den Nationen mit älterer, nie unter-
brochener Kulturtradition ebenbürtig zu machen.
Sie werden nun auch die Überzeugung gewonnen
haben, dass ich nicht darauf ausgehe, den Wissens-
stoff, an dem wir schon so schwer zu tragen haben,
noch zu vermehren; sondern dass meine Absicht,
in erster Linie eine erzieherische, sich auf die Bildung
des Auges und damit des Geschmacks richtet.
Der Stand unserer Kunstbildung zeigt auf den
drei grossen Gebieten ein sehr verschiedenes Niveau.
Auf dem Gebiet der Musik nehmen wir gegen-
wärtig unter allen Völkern den höchsten Rang ein,
wie denn auch unser Einfluss in der ganzen gebilde-
ten Welt deutlich sichtbar hervortritt. In den
redenden Künsten hat unsere Bildung seit einigen
jahrzehnten unerhörte Rückschrittte gemacht. Die
litterarische Erziehung und die sprachliche Ausdrucks-
Fähigkeit der Generation, die in den zwanziger jahren
zur Schule ging, stehen wesentlich höher als die
unsere. Wie oft setzt uns eine gebildete ältere Dame
durch ihren Reichtum an Gedanken und die Mannich-