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So endet die alte fürstliche Kultur der Erzbischöfe
und die alte bürgerliche der Fleischermeister in
unseren Tagen genau auf demselben Punkte: bei
der Photographie.
Und wie der künstlerischen Kultur der Erz-
bischöfe und der Fleischermeister ist es unserer ge-
samten Bildniskunst ergangen: sie ist in der re-
touchierten Photographie ertrunken.
Aber in demselben Augenblick, wo die Gewöhnung
an das verschönte Lichtbild alle Ehrlichkeit und
Wahrhaftigkeit der künstlerischen Gesinnung im
Publikum vernichtet hat, wo niemand mehr den
künstlerischen Mut der Persönlichkeit besitzt, wo
jeder, der sich "abnehmen" lässt, zum Adonis im
Überrock hinauf retouchiert werden möchte, wo kein
Maler im Bildnis mehr die Wahrheit sagen darf, wo
die Photographie die Bildnismalerei selbst in Städten
von einer halben Million Einwohner vollkommen
zerstört, wo sie die Bildnisradierung und Lithographie
erstickt hat, schickt sie selber sich an , eine neue
Gewöhnung an die Wahrheit und damit eine neue
Grundlage für die höhere Bildniskunst zu schaffen.
In Hamburg, das durch seine Gesellschaft zur
Förderung der Amateurphotographie 1893 den An-
stoss gegeben und seither die Bewegung geleitet hat,
in Leipzig, München, Darmstadt giebt es schon
Photographen, die die alte Afterkunst ganz aufge-