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Es wird niemandem einfallen, gegen die
Photographie anzukärnpfen oder den Umfang
der Thätigkeit unserer Photographen einschrän-
ken zu wollen. Das wäre ein Kampf mit Wind-
mühlen. In allen Kreisen ist das Bedürfnis nach
oft wiederholten Aufnahmen vorhanden und lässt
sich nicht ausrotten, selbst wenn damit etwas
Wesentliches gewonnen wäre.
Aber etwas anderes ist möglich: die Bildnis-
photographie künstlerisch zu vertiefen.
Den Anstoss dazu dürfen wir nicht von
dem Berufsphotographen erwarten, wenn auch
einzelne ernsthafte Bestrebungen anerkannt wer-
den müssen. Er ist als Geschäftsmann von sei-
nem Publikum abhängig und muss es machen,
wie es Verlangt wird.
Hier muss der Amateurphotog-raph einsetzen,
der ganz unabhängig ist. Von ihm verlangt
niemand Retouche, und er kennt die Menschen,
die er aufnimmt, besser als der Photograph
seine Kunden kennen kann, die nur in Sonn-
tagskleidern zu ihm kommen. Fürs Kinderbi1d-
nis hat er schon Bresche gebrochen. Wenn
allmählich das Publikum durch die neue Auf-
fassung der Photographie an die Wahrheit ge-
wöhnt worden ist, wird es auch in der Kunst
den Mut der Persönlichkeit wieder finden.
Aber um diese wichtige Funktion ausüben
zu können, muss der Amateurphotograph sich
selber zunächst erziehen. Eine genauere Kennt-
nis der Bildniskunst der vergangenen Epoche