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dem sie ihnen unsere Photographien zeigen.
Kann man denn von einem so barbarischen Ge-
schlechte erwarten, dass es vom Künstler etwas
wie die Wahrheit Verträgt? Die Gewohnheit,
sich vom Photographen schmeicheln zu lassen,
stand beim Publikum dem Künstler überall im
Wege.
Und um den Schülern begreiflich zu machen,
wie gross der Abstand ist, der ein naiv und künst-
lerisch ernpfindendes Zeitalter von der Epoche des
ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts trennt,
wird der Professor seinen Schülern eine Photo-
graphie von van Eycks Bildnis des Mannes mit
den Nelken vorlegen, in die er die 77 etwas freund-
licherea Auffassung hinein und aus der er alle
Spuren des Alters herausretouchiert hatte. Und
die jungen Leute werden in ein fröhliches Ge-
lächter ausbrechen und sich zum Spass einige
Holbein, Hals und Rembrandt auf das Niveau
unserer Zeit herabretouchieren.
Um aber die jungen Leute vor Überhebung
zu bewahren, wird ihr Lehrer sie dann auf einige
ernste Künstler des ausgehenden neunzehnten
Jahrhunderts aufmerksam machen, deren Gewissen
sich gegen die Konvention aufgebäumt hat, wie
in seinen Männerbildnissen Lenbach im Anschluss
an die Alten, auf neuen Pfaden Liebermann,
Uhde, Hans Olde und Leopold Graf Kalckreuth.
Wie diese Meister den modernen Menschen
aufgefasst haben, so muss es auch der Lieb-
haberphotograph versuchen.