88
sein, wie die Landschaft und das Historienbild
letzteren Ausdruck im weitesten Sinne geno1n-
men. Das Bildnis sollte unter allen Umständen
wieder Bild werden. Wie zur Zeit von Holbein,
Titian, Rubens, van Dyck, Rembrandt, deren
Bildnisse mindestens gleichen Rang mit ihren
Historienbildern behaupten, müsste es den Ehr-
geiz aller führenden Künstler ausmachen, dem
Bildnis seinen Rang als vornehmste Kunstgattung
Wieder zu erobern. Freilich macht die Zer-
fahrenheit, in der wir unsere Künstler aufwachsen
lassen, das geringe Mass von Können, das wir
auch bei hohen Begabungen schon als selbst-
verständlich hinzunehmen pflegen, die ersten
Schritte überaus schwierig.
Das Gebiet der Möglichkeiten für das mo-
derne Bildnis ist unendlich. Die religiöse Ma-
lerei, die Geschichtsmalerei, die Genremalerei
haben ihre Zeit. Das Bildnis grossen Stiles ist
von Zeitströmungen unabhängig, und es dürfte
die ihm zukommende Führerrolle bald wieder
übernehmen. Dazu bedarf es aber nicht nur
der Künstler, sondern eines Staates, der sich
seiner selbst bewusst ist und das Bedürfnis hat,
sich auszudrücken, dazu bedarf es eines kultivier-
ten Publikums, das Aufgaben stellt, nicht bloss
Aufträge giebt. Diese Elemente aber fehlen
uns, während der Künstler immer da ist.
In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahr-
hunderts War bei uns die Photographie das
eigentliche Ausdrucksmittel der Bildniskunst, so-