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Lesenden und Schreibenden eine ganze Serie
von Variationen erzeugen konnte.
Vom Anfang des sechzehnten Jahrhunderts
her lässt sich die Charakterentwickelung der Hol-
länder in den Bildnissen studieren, von der bür-
gerlichen Gebundenheit in Haltung und Zügen,
durch die leidenschaftliche Männlichkeit der
Periode des Freiheitskampfs zu dem klassischen
Gleichgewicht aller Kräfte des Gemütes und des
Geistes um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts
bis zur Verfettung der glattrasierten wErbenm zu
Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Pose,
Schönfärberei, verwaschende Idealisierung kennt
der Holländer nicht, solange er unbeeinflusst
bleibt.
Fast um dieselbe Zeit führte die Blüte des
Bildnisses unter Velasquez in Spanien unter ganz
anderen äusseren Bedingungen zu ähnlichen Re-
sultaten.
Die spanisch-vlämisch-holländische Epoche
der europäischen Kunst wurde durch die fran-
zösische unter Ludwig XIV. abgelöst. Ein neuer
Mensch bildete denGegenstand einer neuenKunst.
Der Mensch War nicht der unabhängige Aris-
tokrat der Rubenszeit, nicht der Fürst und Grande
des Velasquez, nicht der stolze Bürger des freien
Hollands, sondern der Höfling, den Ludwig und
seine Minister aus dein französischen Adel ge-
schaffen hatten, ein Geschlecht, das nur an der
künstlerischen Ausprägung der Persönlichkeit
arbeitete, das wie in goldenen Käfigen in seinen