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gam in ihrem reichen Gemache nebeneinander,
und in beteuernder Geberde hält der vMann mit
den Nelkena in Berlin das Symbol der Treue in
der Hand. Selten erscheint ein so einfaches
feines, studienartiges Motiv, wie auf dem Porträt
des Arnolfini in Berlin. Man sieht, das Bildnis
ist etwas Neues, bedarf noch der Motivierung.
Hundert Jahre später malt Holbein seinen
Kaufmann Georg Gisze des Berliner Museums.
Er steht in seinem Comptoir, umgeben von allen
Geräten, die ein Kaufmann braucht, sogar die
Kugel mit dem Bindegarn mangelt nicht. Der
Hintergrund religiöser Beziehungen fehlt voll-
ständig. Der Dargestellte ist nicht emporgehoben
über sein alltägliches Leben, sondern im Gegen-
teil bildet das Bildnis die Synthese seiner biir-
gerlichen Existenz.
Aber noch ist die volle Freiheit nicht ge-
wonnen, man sieht auf den ersten Blick: das ist
einer, der sich hat porträtieren lassen. Ganz
frei wird das Bildnis trotz der grossartigen Schöp-
fungen der Nürnberger, Augsburger, Mailänder
und der Florentiner wohl erst in Venedig.
Ein typisches Beispiel bildet das Selbst-
porträt Titians in der Berliner Galerie. Da sind
die Glieder gelöst. Wie sich der Mann hält,
wie er blickt, wie die Finger auf den Tisch trom-
meln, das ist völlig ungezwungen. Der Geschil-
derte ist nicht für den Maler oder den Beschauer
hingesetzt, sondern wie mit sich allein. Nicht
umsonst wurde Titian der erste grosse Typus des