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Seite des Kunstwerkes in Betracht kommen, so würde eine symme-
trische oder überhaupt auf eine leicht fassliche Weise zurückführ-
bare Anordnung der gesammten Composition das Vortheilhafteste
sein; und durch alle Gegenrücksichten macht sich dieser Vortheil
doch wie früher bemerkt stilistisch in so weit geltend, dass man
nicht nur religiösen Bildern eine angenähert symmetrische Anord-
ordnung zu geben liebt, sondern auch in Bildern jeder Art eine
gewisse gleiche Abwägung der Massen von beiden Seiten federt.
(Th. 1. 481.) Aber im Allgemeinen ist doch das Hauptgewicht in
Werken bildender Kunst auf die Festhaltung einer ideellen Ver-
knüpfung des Mannichfaltigen zu legen, was in eine allgemeinere
und höhere Kunstregel hineintritt. Anderseits ist der zweiten Seite
des Principes der einheitlichen Verknüpfung Rechnung zu tragen.
Das heisst, in so weit das Gefühl einer gemeinsamen Unterordnung
unter die Alles verknüpfende Idee nicht leidet, was sich durch den
Eindruck der Zersplitterung verrathen würde, ist die Mannich-
faltigkeit möglichst ins Spiel zu bringen, um der Monotonie ent-
gegenzuwirken, und sind demgemäss Stellungen, Wendungen,
Ausdrucksweisen der Figuren möglichst zu variiren. Auch sieht
man diess Stilprincip von den Künstlern überall befolgt, sehr oft
freilich über das, was Gegenrücksichten gestatten, hinaus befolgt.
Wohl das schönste Mass in Abwägung aller stilistischen Rück-
sichten überhaupt, wie der Eindruck selbst beweist, namentlich
aber auch in jetzt besprochener Hinsicht, bietet die llaphaelsche
Sixtiua dar. Die Ha upta nordnung ist von erster Seite des Stils so ein-
fach klar, dass es Niemandem erst eine Mühe macht, eine Figur
im Bilde oder einen Gedanken über das Bild zwischen andern
herauszuwickeln, und doch, welch' unerschöpflicher Beichthum
von Bewegung, Ausdruck, tiefer und erhabener Empfindung liegt
in dieser Einfachheit und Klarheit und quillt im Eindruck daraus
hervor. Die zweite Seite des Stils anlangend, so ist die Hauptan-
ordnung symmetrisch, und wie schlecht würde es sich ausnehmen,
wenn eine von den beiden Nebenfiguren viel näher an die Haupt-
figur gerückt wäre als die andere; aber die Symmetrie ist allent-
halben von lebendiger Bewegung durchbrochen. Der heilige Sixtus
steht in etwas anderer Höhe als die heilige Barbara, und man sagt
sich: er dürfte nicht gleicher damit stehen, um nicht, nachdem
schon die Seitenstellung nahe gleich ist, vollends den Eindruck
einer mechanisch erkünstelten Symmetrie zu Stande kommen zu