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Platz zu finden, und lächerlich würde es z. B. sein, wollte man
ein Christkind aus diesem Grunde grösser, als die Erwachsenen,
die es umgeben, darstellen. Dagegen sieht man niehtlselten in
älteren Bildern die Madonna riesengross gegen die vor ihr oder
unter ihrem Mantel knieenden irdischen Figuren gehalten; und
auch die Griechen haben sich dieses Mittels zuweilen bedient, die
überwiegende Bedeutung von Göttern oder Heroen hervorzuheben.
An dergleichen muss man sich doch gewöhnt haben, um es zu ver-
tragen.
Endlich kann auch die Farbenvertheilung stilistisch nach der
Bedeutung der Gegenstände abgewogen werden; und Sandrart
(T. Akad. 4675. 63) gibt in dieser Beziehungfolgende sehr be-
stimmte Regeln, die natürlich, wie alle solche Regeln, nur so weit
durchzuführen sind, als sie nicht in Gonllict mit andern, sie über-
bietenden, Regeln treten.
nMüD muss die Farben also anlegen, dass das fürnemste im
ganzen Werk vor allen zum reichsten, leichtesten und schönsten
hervorkomme. Man hat die gemeine und dienstmässige Perso-
nen der Figur mit schlechten oder gebrochenen Farben beyzu-
bringen, als wordurch die fürnehmern ein mehreres Ansehen ge-
winnen. DerKünstler hat sich dessen jederzeit zu befleissen,
dass die principalen Personen mit den stärksten annehmliehsten
Farben eolorirt, am lieehtesten besten Ort zu stehen kommen.
hingegen sind die gemeinen dunkeln Farben eigentlich und am
besten dienlich zu den gemeinen Personen, die abseits in einem
Winkel und Ecke stehenß
Nicht minder verlangt die Art der Bedeutung ihre stilistische
Rücksicht in Verwendung der Farben. Wenn es einmal herge-
bracht ist, aus welchem Grunde es immer sein mag, eine gegebene
Persönlichkeit in ein Gewand von bestimmter Farbe zu kleiden,
wie die Madonna seit einigen Jahrhunderten in Both und Blau, so
ist es stilmässig, sie auch ferner darein zu kleiden, um sie um so
leichter erkennen zu lassen, und nicht eine Frage nach der Ab-
weichung anzuregen, für die sich keine Antwort geben lässt, als
das Belieben des Künstlers. Liesse sich freilich eine andere Ant-
wort in einem bestimmten Motiv finden, was die Stilrücksicht über-
wöge, so könnte auch die Abweichung gerechtfertigt sein.
Abgesehen von Conventionen haben Farben einen gewissen
Stimmungseharakter, vermöge dessen sie stilistisch besser da- oder