Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

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können. Wenn freilich eine einzelne Dame im Bilde sich vor dem Spiegel an 
der Wand putzt, kann sie nicht in die Mitte gestellt, werden, um uns nicht, 
den Rücken znzukehren; und so kann es überhaupt manche Nebenmolive 
geben, welche nöthigen, von der Milülstellung der Hauptsache abzuweichen; 
als Hauplregel scheint sie mir doch slzuhallen. 
U. a. gedachten wir auch der Grösse als eines stilistischen 
Mittels, die Bedeutung einer Hauptfigur gegen andre Figuren her- 
vorzuheben. Es kann aber eine vorwiegende Grösse der Haupt- 
figur theils dadurch erzielt werden, dass sie mehr in den Vorder- 
grund gerückt wird und hiemit optisch grösser erscheint, theils 
dadurch, dass sie mit symbolischer Bedeutung als wirklich 
grösser dargestellt wird. 
Die Hauptfigur jedenfalls nicht in den Hintergrund zu schie- 
ben, vereinigen sich überhaupt mehrere stilistische Gründe. Indem 
sie sich damit verkleinert, uns entfernter scheint, das Detail der- 
selben sieh verwischt, zieht sie unsere Aufmerksamkeit weniger 
auf sich, läuft auch mehr Gefahr, durch Nebenfiguren verdeckt zu 
werden; doch wird man sie ausser in dem Falle, dass sie als Halb- 
figur geradezu vom unteren Bildrande durehschnitten wird, nicht 
leicht im äussersten Vorgrunde an diesem Bande erblicken. Denn 
einmal wird abgesehen von besonderen Bestimmungsgründen das 
Auge nicht am meisten vom Rande, sondern von der Mitte des Bil- 
des angezogen, und die Ilauptfigur würde auch nach der Höhen- 
riehtung in diese Mitte zu versetzen sein, wie es nach der Breiten- 
riehtung geschieht, wenn sie nicht eben zu sehr in den Hinter- 
grund damit träte; zweitens besteht das Bedürfniss, mit dem 
Ilauptgegenstande etwas von der Umgebung desselben mitzugeben, 
wobei ein Theil der untergeordneten Figuren von selbst mehr dem 
Vordergrunde zufällt. In sofern aber diese dadurch einen gewissen 
Vortheil vor'der Hauptfigur im Mittelgrunde gewinnen, ist Sorge 
zu tragen, dass sie nicht durch Sorgfalt der Ausführung, Beleuch- 
tung, auffallende Gewandung den Vortheil ihrer Stellung zu sehr 
verstärken; und man kann z. B. sagen, dass in dieser Hinsieht in 
dem berühmten Lessingsehen Gemälde, Huss vor dem Scheiter- 
haufen, das stilistische Mass nicht ganz richtig eingehalten er- 
scheint. 
Eine s ymbolisehe Verwendung üheiwviegender Grüsse zur 
Bezeichnung überwiegender Bedeutung einer Hauptfigur kommt 
meist in zu harten Widerspruch mit der Naturwahrheit, um häufig
	        
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