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Landschaftsmalerei, so auch hier ist diese Stellung allzu berechnet und ab-
sichtlich; gern geben wir zu, dass sie angewandt sei bei vielen kirchlichen
Gemälden, die uns geradezu dem Kirchlichen gegenüberstellen, uns also in
den Mittelpunct der Welt blicken lassen, aber profane Darstellungen werden
durch eine Excentricität ihrer Hauptliguren besser die historische Natürlich-
keit andeuten, durch welche diese in irgend ein Bruehstück der Welt gesetzt
worden sindm
So beachtenswerth diese Bemerkungen eines unsrer scharfsinnigsten
Aesthetiker sind, möchte ich sie doch nicht ganz unterschreiben, indem ich
zwar bis zu gewissen Gränzen die Thatsache zugestehen, aber den Grund
derselben anders auffassen möchte. Wenn in einer Landschaft eine excen-
trische Stellung des Gegenstandes, der aus irgend welchen Gründen am
meislen geeignet ist, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, vortheilhaft er-
scheint, so liegt meines Erachtens der Hauptgrund darin, dass, wenn eine
eentrale Stellung zur übrigen Aufdringlichkeit desselben noch hinzutritt, die
Aufmerksamkeit leicht so stark darauf Iixirt wird, dass das Bild hauptsäch-
lieh um des Gegenstandes willen, die Landschaft nur als dessen nebensäch-
liche Umgebung da zu sein scheint, was dem Gesaminteindruekc schadet, da
der Eindruck einer Landschaft sich nichtvon einem Puncte aus verbreiten
sondern aus dem Ganzen zusaxnmenwcben soll, wonach es für eine Land-
schaft principiell gar keinen Hauptgegenstand in demselben Sinne als für ein
historisches oder religiöses Bild giebt. Durch die cxcentrische Stellung nun
wird der auffällige Gegenstand auf den ihm zukommenden landschaftlichen
Werth herabgedrückt.
Andre Bilder als Landschaftsbilder anlangend, so liegt vielfach das
Hauptgewicht vielmehr auf einer Hauptscene, Hauptgruppe, Haupthandlung,
wozu verschiedene Personen in verschiedenem Verhältniss beitragen, als auf
einer einzelnen Figur, wonach dann allerdings keine einzelne Anspruch aufdie
Stellung in der Mitte hat; aber die Seene, Gruppe, Handlung, um die es sich
in der Hauptsache handelt, hat doch die Mitte einzunehmen , und sieht man
wirklich im Allgemeinen dieselbe einnehmen. Dass bei religiösen Bil-
dem, wo eine einzelne Person durch ihre Bedeutung das Ganze beherrscht,
diese Person die Mitte einnimmt, wird auch von Lotze nicht bestritten, und
bei Porträts wie bei isolirter "Darstellung von Hauptwerken der Architektur
wird man die Stellung in der Mitte selbstverständlich finden, ohne den Eindruck
einer störenden Absichtlichkeit davon zu besorgen oder zu crfahren,was sich
auch leicht dadurch erklärt, dass wir ja selbst im Leben uns absichtlich
jedem Gegenstande, dem wir unser Interesse zuwenden, gerade gegenüber-
stellen, und unsern Blick nebensächlich von da nach beiden Seiten schweifen
lassen.
Da wir überhaupt von jedem Bilde den Eindruck haben, es sei ein aus
der Wirklichkeit heraus geschnittenes Stück; so kann ein Bild mit dem
Hauptgegenstande (oder der Hauptgruppe) in der Mitte uns im Grunde weni-
ger leicht den Eindruck einer unnatürlichen Mittelstellung des Gegenstandes
als einer zweckmässigen Weise , das Stück herauszuschneiden und uns dar-
zubieten, machen, was wir vielmehr nur wohlgefällig als missfällig empfinden