Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

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sofern in Betracht, als in einer Abwägung der Massen zu beiden 
Seiten des llauptpuncts ein symmetrisches Moment liegt, was in so 
weit wohlgefällig ist, alses nicht dem Ausdruck natürlichen Le- 
bens widerspricht. Nun aber wird bei Versenkung des Kindes in 
eine Grube das Bedürfniss um so dringender, die verlorene Be- 
deutung der Höhe durch den Glanz zu ersetzen; und wenn in der 
Nacht Correggids und so vielen analogen Darstellungen der Geburt 
Christi das Kind von seinem ganzen Körper Licht ausstrahlt, wäh- 
rend die erwachsenen Personen zu beiden Seiten daneben stehend 
oder knieend den Blick darauf richten, so ist den sachlichen und 
stilistischen Foderungen zugleich in angemessenster Weise genügt, 
indem das Kind hiemit in seinem natürlichen Verhältniss zu den 
Erwachsenen, von ihnen überragt und als Gegenstand ihrer Auf- 
merksamkeit zugleich am günstigsten Puncte für unsere Aufmerk- 
samkeit erscheint, durch sein Licht zugleich symbolisch als in die 
Welt gekommenes Licht erscheint, und den Blick stilistisch am 
meisten fesselt. Eine solche einstimmige Befriedigung der sach- 
lichen und stilistischen Foderungen zu erzielen aber gehört zu den 
Hauptaufgaben der Kunst; sie zu bemerken, zu dem feineren Ver- 
ständnisse der Kunst. 
Lotze zwar widerspricht in seiner Abhandlung über die Bedingungen der 
Kunstschönheit der stilistischen Regel, den Hauptgegenstand einer Darstellung 
in der Mitte des Bildes anzubringen, zuvörderst bei Landschaften (S. 55), 
dann aber allgemeiner (S. 74) wie folgt: 
nDie "Mitte eines Landschaftbildes soll nicht durch die Gegenstände ein- 
genommen werden, die mit der meisten Kraft unsere Aufmerksamkeit an- 
ziehen; sie verlangen vielmehr eine excentrisehe Stellung, denn es ist eine 
unwahrscheinliche Absiehtlichkeit für den Beobachter, dass er sieh genau in 
dem Visirpunete der Welt befinde, von dem aus sie in symmetrische Hälften 
zeriiele, und eben so unwahr für den Gegenstand, dass um ihn als Mittel- 
punct sich die übrige gleiehgiiltige Welt anlege. Man wird leicht bei unbe- 
fangener Betrachtung linden, dass jeder Durchblick durch ein Gebüsch wir- 
kungsreicher ist, wenn er ausser dem Mittelpunet der Landschaft in einer 
sonst vernachlässigten Richtung eine neue Welt unerwartet öilnet, als wenn 
er gerade auslaufend, was sich von selbst verstand, nur die dritte Dimension 
der Ausdehnung veranschaulicht. Eine Baumgruppe wird ziemlich eitel und 
herausfodernd in der Mitte stehen, während sie ausserhalb ihrer eine anmu- 
thige Unberechenbarkeit in das Ganze bringt.   .u 
Weiter: nVerbindct man mit jener pyramidalen Gruppirung, die man 
sonst als unvcrbrüchliehes Gesetz der Cornposition betrachtete, den Sinn, 
dass die Haupttigur oder Hauptgruppe überall den Mitlelpunct des Gemäldes 
einnehmen solle, so dürfen wir wohl entschieden widersprechen. Wie in der
	        
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