80
dung hiehei als den schlechthin und allgemein massgebenden gel-
tend machen zu wollen. Es liegt hier eben wieder ein Feld von
Conflicten vor, wo Vortheile und Nachtheile sich gegenseitig be-
kämpfen und wechselsweis besiegen; nur Extreme sind überall
zu vermeiden. Mir selbst machen sich die Nachtheile leichter gel-
tend als die Vortheile, bei Andern ist es umgekehrt, und Keiner
wird dem Andern beweisen können, dass er im Unrecht ist; gut
aber ist es jedenfalls, sich klar bewusst zu sein, worin die Vor-
theile und Nachtheile überhaupt liegen, indem diess selbst bei-
tragen kann, sich vor Einseitigkeit wenn nicht der Empfindung
aber des Urtheiles zu schützen.
Ich führe ein Beispiel an, wie weit in voriger Hinsicht; der Ge-
schmack auseinander gehen kann. Nicht bloss eine, sondern mehrere
Personen, deren Geschmack ich achte, haben mir in den wärmsten
Ausdrücken von dem Eindrueke gesprochen, den die poetische Schönheit der
nNibelungea Jordans auf sie gemacht; auch beweist sich die Verbreitung des
Beifalls, den das neue Epos gefunden, in der Vielheit der Auflagen, die es
schon erfahren. In der That bietet es in gewisser Beziehung xxiesentlitrhse
Vortheile über das alte Epos hinaus. Welch' andre lllannichfaltigkcit von
Empfindungen, Handlungen, Situationen, Begebenheiten darin; die Empfin-
dungen, Situationen ins Detail entwickelt, Alles in einen zauberischen Nim-
bus vervloben und mit poetischen Bildern und Lichtern durchwoben. Doch
habe ich das Werk nicht durchlesen können , indem der Ilaupteintlrucl; des-
selben für mich, so weit ich kam, der eines Galimathias des allen Zauber-
und Reckenwesens mit moderner Sentimentalität und Reflexion war. In
einer kunterbunten Mährchenwelt, worin das Zauberhafte bis ins Ungeheuer-
liche und Frazzenhafte gesteigert ist, schon wir den Draehentödter Sigfritl
(auf dem Wege zum l-linderberge S. 67) Selbstreflexionen über die Bestim-
mung und die Empfindungsweise eines Helden anstellen, denselben sich
(S. 72) in heutigen Ausdrucksweisen frommer kindlicher Gefühle ergehen, den
Reckenkönig Gunther sich (S. 75) in sentimentale Betrachtungen und Bilder
über die Macht der Musik, durch welche ein vsonst pfadloses All der Empfin-
dung sich aufthuta, verlieren, den Sänger Horand (S. l 02) die Bedeutung, welche
Sang und Sänger nicht nur haben, sondern auch in Zukunft einmal haben
dürften, entwickeln, _u. s. w. Und da der Dichter über alles das mancherlei
Poetisches zu sagen weiss, so lässt er es auch seine Personen in hinreichender
Breite sagen; manchmal werden sie gar nicht fertig in ihren Auseinander-
Setzungen. l-liegegen spielt. im alten Epos das Zauberwesen nur eine sehr
bescheidene Rolle, läuft der ganze Gang der Begebenheiten an einem ein-
fachen Faden ab, handeln die Personen ganz simpel nach ihren stark ausge-
prägten Leidenschaften und sprechen wie ihnen der Schnabel gewachsen ist;
oft klingt es trocken und prosaistxh genug, aber sie w olle n gar nicht wie die
Jordanschen oder vielmehr wie Jordan will, poetisch sprechen, und bleiben
doch poetisch. Das ist mir im Ganzen lieber, wenn schon es die Ansprüche