Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

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Darstellungsstoffe und Motive erweitert sich" dadurch überhaupt. 
Dem Dichter wird seine Leistung insofern erleichtert, als er nicht 
Geschichten, Charaktere von Grund aus zu schaffen, sondern nur 
auszuführen und zurechtzulegen braucht. Und da wir die alten 
(iesehichttan und Charaktere allgemeingesprochen nicht eben so im 
Detail kennen als die neuen, so ist auch der Ausführung ein er- 
heblicher Spielraum gegeben, ohne mit unsern geläufigen Vorstel- 
lungen in entschiedenen Widerspruch zu gerathen. Wollte man 
aber die Ausführung doch so weit als möglich mit unseren 
Kenntnissen zusammenstiminend halten, so würde das Interesse 
leicht von einer andern Seite verloren gehen. Die Verhältniss- 
massige Bohheit oder Einfachheit alter Zeiten und Völker wieder- 
spiegeln zu wollen, kann theils verletzen, theils nicht genug be- 
schäftigen, und die altc Gefühls- und Denkweise dem Verständ- 
niss fern bleiben, weil wir nun eben in modernen Verhältnissen, 
(iefülnls- und Denkweisen erzogen sind. Also (lurchdringt und stei- 
gert der historische Roman und das historische Drama die Vor- 
theile eines bedeutsamen und unser Interesse von vorn herein an- 
sprechenden, StolTes noch mehr oder weniger durch Hineintragen 
und llineinarbeiten der uns geläufigen und anmuthenden moder- 
nen Ansrhauungs- und Ernplindungsweisen. 
Auch hier macht sich freilich als Gegengewicht das verletzte 
Walirheitsgefülil geltend, aber doch nicht überall so geltend, dass 
es jene Vortheile üherwöge. Allgemein Menschliches ist allen Zeiten 
und Völkern gemein; und wenn nur hierin die Wahrheit recht ge- 
wahrt wird, so übersieht man leicht Verletzungen derselben in der 
Weise, wie es sich je nach Zeit und Volk verschieden ausspricht, 
wofern sie nicht zu stark sind. Also wird man nichtallge- 
mein oder schlechthin sagen können, dass derartige Ueber- 
Setzungen des Alten ins Moderne zu verwerfen sind; vielmehr 
wird es nur gelten, erstens, so weit Mass darin zu halten, dass das 
Gefühl des Widerspruches mit der äiusseren Wahrheit nicht a u f- 
dringlich werde,  kein Künstler wird doch Nero als gütigen 
Herrscher darstellen dürfen;  zweitens, dass nicht durch die 
Uebersetzung in n e re Wi d ers p r üch e der Darstellung heraufbe- 
schworen werden, z. B. Züge einer rohen Wirklichkeit sich mit 
Zügen einer feineren Cultur schrolf und unvermittelt mischen. 
In dieser Beziehung aber verträgt der eine Geschmack mehr 
als der andre, und tinrecht wäre es, den Massstab taigner Empfin-
	        
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