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durch den Zusammenhang, in dem es auftritt, die Praeeedentien
und die Umgebung nachdrücklieluvr als Hauptsache geltend, als im
Bilde, was alle Mittel, die Aufmerksamkeit zu richten, in sich selbst
darbieten, also auch die Ausführung der Gegenstände mit Bück-
sicht darauf abmessen muss, um den Nachtheil, in dem es in die-
ser llinsieht gegen die Natur steht, dadurch zu eompensiren.
Wenn es freilich keine Kunst wäre, in der Vollendung der
Detailausführung gleichen Schritt mit der Vollendung der Haupt-
züge zu halten, und wir jener Vollendung in der Kunst überall
eben so gewohnt wären, als in der Natur, so würde sich auch das
Interesse und die Aufmerksamkeit dafür, hiemit die zerstreuende
Kraft davon, in entsprechender Weise abstumpfen. Aber nicht
nur, dass es unmöglich ist, die Detailausführung der Natur durch
Kunst vollständig zu erreichen, ist es auch eben so langwierig als
schwierig, ihr nur sehr nahe zu kommen. Desshalb abstrahirt die
Kunst im Ganzen und Grossen selbst von der an sich möglichen
Feinheit der Ausführung, und jedes Mehr oder Minder fängt hie-
nach an, einen anziehenden oder abziehenden Einfluss auf unsere
Aufmerksamkeit zu üben, der stilmässig in vortheilhaftester Weise
berücksichtigt werden muss.
Sandrartlf) erzählt, er sei einmal mit dem kunstreichen van
Laer zu Gerhard Dow gekommen, um ihn kennen zu lernen, und
seine Arbeiten in Augenschein zu nehmen. Der Künstler habe sie
höflich empfangen und ihnen bereitwillig seine Arbeiten gezeigt.
Als sie aber unter Anderem den grossen Fleiss gelobt hatten, wel-
chen er auf einen Besenstiel gewandt, der um Weniges grösser als
ein Fingernagel war, habe er erwiedert, dass er wohl noch an die
drei Tage daran zu arbeiten habe.
Diess Gesehiehtehen ist in doppelter llinsieht instruetiv. Wer
wird einem natürlichen Besenstiel seine Aufmerksamkeit wegen
seiner Ausführung schenken; einem gemalten schenkt man sie,
weil man sie gewöhnlich nicht da findet. Und wie lange brauchte
Dow, um sich in der Ausführung des Besenstiels ganz befriedigt zu
finden. llättc nun Raphael auch zu jeder Kleinigkeit wie einem
Besenstiel mehr als drei Tage gebraucht, wie viel Gemälde würden
wir von ihm haben"? Die Kunst aber hat sich so zu sagen gesagt:
um des Vortheils willen, viele in der Hauptsache vollendete Werke
Tßutschc Ak.
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