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Aber man bemerke, dass diese Regel von einem Künstler ge-
geben ist, der in einem Gebiete, dem idealen Kunstgebiete, schuf,
wo das Hauptgewicht eben nicht auf der Charakteristik liegt, und
die ihm beistimmen, halten sich im Allgemeinen in demselben Ge-
biete und achten grossentheils kein anderes. Immerhin ist zu be-
ilauern, dass eine al lgcmeingesprochen doch nureinseitige
Regel durch ihren Ausspruch Seitens einer grossen Autorität als
aillgtzmeintw sanctionirt zu werden scheint. [m Grunde wird die Dar-
stellung selbst der idealsten Persönlichkeit noch so charakteristisch
als möglich bezüglich der Vorstellung, die man sich vom Cha-
rakter dieser Persönlichkeit zu machen hat, zu halten sein; womit.
sie nun eben eine ideale wird, so dass hier möglichst weit getrie-
bene Schönheit und Inöglichst weit getriebene Charakteristik von
selbst mit einander gehen, ohne dass von einer Bevorz ugung
der einen vor der andern an sich die Rede sein kann. Nur bleibt
bei den Hauptgegenstiinden der idealen Kunst die möglichst Weit
getriebene Charakteristik immer noch weit hinter dem Gegenstande
zurück denn das als göttlich Vorgestellte liisst sich nun einmal
nicht adäquat darstellen, und nach dem Charakter des ldealelm
selbst verläuft sich die Charakteristik desselben in mehr oder we-
niger allgemeine Normaltypen, so dass sich hier durch Charakte-
ristik nicht so viel leisten lasst, als durch Schönheitshedingungen
abgesehen von Charakteristik; wesshall) ich sagte, dass hier ein
grösseres Gewicht aul der Schönheit als auf der Charakteristik
liege, und man auch hier von (lharakteristik gar nicht zu sprechen
pllegt. Jedoch auch im idealen Kunslgehietiz gilt es nicht hloss
ideale Persönlichkeiten, sondern Nehenpersonen, unter-
geordnete Personen mit darzustellen, wo Schönheit und Cha-
rakteristik gar nicht eben so miteinander gehen, als bei den
idealsten Persönlichkeiten; und wenn nun, wie natürlich, Cor-
nelius" Regel dahin verstanden wird, dass auch hier, im Con-
llict von Schönheit und Charakteristik, die erstere zu bevorzugen
sei, so entspricht diess allerdings der vorherrschenden Ausühungs-
weise der idealen Kunst und dem dadurch gebildeten und (laraul
eingerichteten Geschmack, doch halte ich sehr
fraglich, ob dieser nicht ilereinst als Sache eines üherwundenen
Standpunctes gelten wird. Denn es ist zwar sehr wahr, was Cor-
nelius sagt, (lass ein einfach scrhönes Antlitz oft mehr wirkt als alle
Betonung des lndiviiluelleii, und eine Madonna wird nie zu schön