der Vortheil der Naturwahrheit dort durch andre Vorzüge hier über-
wogen wird. In der Pieta von B. ist der Christus-Leichnam der
eines voll ausgewachsenen Mannes, welcher sein natürliches Grössen-
verhältniss zur Madonna hat. In deruPieta von M. A. aber ist der
Leichnam der eines nicht recht vollwüchsigen Mannes, welcher
gegen die Grösse der Madonna etwas zurüchsteht, was naturwidrig
ist. Aber mit dieser Naturwidrigkeit erkaufte sich M. A. den Vor-
theil, den Leichnam auf den Schooss der Madonna legen zu können,
die Madonna dadurch in das innigste Verhältniss zu ihm setzen zu
können, was an ihr erstes mütterliches Verhältniss zu ihm erinnert
und gegentheils dem Leichnam über den Knien eine bewegte Lage
geben zu können, wogegen die starre Ausstreckung des Christus-
Leichnams vor der BJschen Pieta sehr in Nachtheil steht. Es ist
wie Fluss gegen Eis. Man findet in der That das Verhältniss in der
Pieta von M. A. so schön, dass man über die dabei unterlaufende
Naturwidrigkeit wegsieht, ohne dadurch gestört zu werden, wozu
freilich zweies mit gehört, erstens dass die Verjüngung des
Christus sehr massvoll gehalten ist, zweitens dass man in dieser
idealen Sphäre überall gewöhntist, von den Foderungen an
strenge Naturwahrheit nachzulassen. Weder aber hätte der Chri-
stus-Leichnam sehr viel kleiner sein dürfen, wenn sich nicht die
Störung entschieden geltend machen sollte, noch die Verhältniss-
massige Grösse des Christus-Leichnams der Bßschen Pieta haben
dürfen, um nicht der Madonna eine zu schwere Last aufzubürden
und das Nehmen des Leichnams auf den Sehooss selbst wider-
natürlich
erscheinen
Zll
lassen.
Die
Pieta
VOI]
möchte
ich
überhaupt reicher an Schönheit und diese Schönheit romantischer
nennen, als die der BietschePschen Pieta, indess in dieser die
Schönheit so zu sagen in eine einfache Natürlichkeit, Würde und
Tiefe gekleidet ist, die auch ihren Werth hat. Wer aber kann
solche Werke überhaupt mit ein paar Worten erschöpfen wollen.
Schliesslich noch folgende Bemerkung. Es kann sein, dass
die allgemein geläufige Vorstellung derer, auf die ein Kunstwerk
zu wirken hat, von der wissenschaftlichen, objectiv richtigeren,
aber auch nur in wissenschaftlichem Zusammenhange, auf Grund
wissenschaftlicher Studien zur Geltung kommenden, Vorstellung
des dargestellten Gegenstandes abweicht. In sofern es nun der
Künstler nicht für seine Aufgabe hält, noch als Künstler dafür zu
halten hat, die wissenschaftliche Vorstellung zu stützen, die ge-