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zwar nicht in der Welt der äusseren Wirklichkeit wohl aber in der
des religiösen Glaubens oder auch nur des Mythus oder Mährchens
existiren, veranschaulicht, dem öffentlichen Cultus und der Privat-
andachtHülfe bieten, die Schönheitsfoderungdurch Formen, die in
der gemeinen Wirklichkeit nicht zu finden, befriedigen, die Phan-
tasie ernst oder anmuthig beschäftigen, und kann selbst die trockne
und langweilige Darstellung allgemeiner Begriffe und Ideen in
Worten durch Bilder ersetzen.
In Besprechung dieser Verhältnisse spielen drei Begriffe eine
Hauptrolle, indem sie die l-lauptabweichungen der Kunst von der
Natur, wodurch die Kunst ihre höheren Vortheile erreicht, aus
verschiedenen, sich ergänzenden Gesichtspuncten bezeichnen und
dadurch zu Angelpuncten werden, um welche sich die ganze
höhere Kunstbetrachtung dreht, die Begriffe des Stilisirens,
Idealisiren s und Symbolisirens, Begriffe, welche Weder in
der Betrachtung der Natur noch der sog. nützlichen Künste An-
Wendung finden. Hierauf näher einzugehen, wird einigen späteren
Abschnitten vorbehalten sein. Vorläufig nur einiges ganz Allge-
meine.
So gross die Vortheile sind, welche die Kunst nach den ge-
nannten Beziehungen über die reine Naturnachahmung hinaus zu
erreichen vermag, darf man doch nicht vergessen, dass ein Con-
flict mit den Nachtheilen der Abweichung stets bestehen bleibt.
Mag also die Kunst stilisirend, idealisirend, symbolisirend von der
Natur abweichen, wird es doch nur so weit geschehen dürfen, als
es zur Erlangung der Vortheile nothwendig ist und als diese in
Uebergewicht gegen die Nachtheile bleiben; ja die Abweichung
von der Natur wird so viel als möglich im Sinne der Natur selbst
geschehen müssen. Die Kunst mag geflügelte Engel darstellen,"
weil sie sonst die himmlische Herrlichkeit und Botschaften Gottes
an die Menschen nicht darzustellen vermöchte; aber sie wird die
Flügel, das Schweben und Fliegen so natürlich als möglich dar-
stellen müssen. Sie wird einem Jupiter, einer Venus eine Ge-
sichtsbildung und Züge geben dürfen, wie sie nirgends in der
Wirklichkeit gefunden worden sind noch zu finden" erwartet wer-
den können, aber doch nur solche, welchen die Natur um so näher
kommt, je erhabnere und schönere Persönlichkeiten sie darstellt,
und die auch, kämen sie wirklich in der Natur vor, den Eindruck
der erhabensten und schönsten Persönlichkeiten machen würden.