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vielfältigende, Abbilder substituirt, und von den in der Wirklich-
keit ilüchtig vorübergehenden Ereignissen den interessantesten
oder werthvollsten Moment festhält. Das Alles aber kann nur ge-
schehen, indem sie von der Naturwirklichkeit die eine oder andere
Seite Preis giebt, Grosses ins Kleine zieht, die Tiefe auf die Fläche
projicirt, die Bewegung auf den Moment reducirt, das pulsirende
Leben auf die todte Leinewand oder in den starren Stein bannt.
So kann man eine wirkliche Landschaft nicht ins Zimmer hängen,
die entfernte nicht herbeizaubern, den günstigsten Standpunct
dazu nicht so leicht finden, dem Moment schönster Beleuchtung
keine Dauer verleihen; die gemalte Landschaft gewährt uns mit
Allem, worin sie gegen die natürliche zurüoksteht, diese grossen
Vortheile vor derselben; und von welcher Masse interessanter
Scenen sieht man die interessantesten Momente in den Räumen
eines Museum für immer aufbehalten.
Das sind in der That nur äussere aber immerhin sehr wichtige
Vortheile der Kunst, die allein schon hinreichen würden, sie mit
allen ihren nothwendigen Unvollkommenheiten zu rechtferti-
gen, und wodurch wirklich viele möglich st getreue Nach-
ahmungen der Kunst gerechtfertigt werden, bei denen die Kunst
eben nichts von Naturwahrheit Preis giebt, als was sie wegen Un-
zulänglichkeit ihrer Mittel nicht erreichen kann oder wegen ver-
hältnissmässig zu grosser Kosten an Zeit, Baum, Mühe, Mitteln zu
erreichen verzichtet. Zu solchen möglichst getreuen Naturnach-
ahmungen gehören nicht nur die Illustrationen von naturgeschicht-
liehen und ethnographischen Werken, sondern auch Veduten von
Gegenden und Portraits von Personen, bei denen es uns mehr
interessirt, möglichst genau zu wissen, wie sie sind als wie sie ein
Künstler aus höheren Schönheitsrücksichten hat darstellen wollen.
Gehört nun auch all' das noch nicht ins höhere Kunstgebiet oder
Kunstgebiet in dem engern Sinne, von dem man sprechen kann,
so gehen doch die meisten vorigen Vortheile beim Eintritt in das-
selbe nicht verloren, sondern treten mit hinein, verdienen also
auch im engern Kunstgebiete keinesfalls unterschätzt zu werden.
Fragt man aber endlich nach den höheren Vortheilen, die durch
freiere Abweichungen erreichbar sind, so werden wir nicht nur
nichts Falsches sagen, sondern es auch mit ziemlich hergebrachten
Ausdrücken sagen, wenn wir antworten:
Die Kunst kann uns dadurch, dass sie den sklavischen An-