compensiren und selbst zu überbieten vermag, dass eine Kunst
gegenüber der Natur nicht nur bestehen, sondern nach gewissen
Beziehungen sie zu ergänzen, nach andern zu übertreffen vermag?
Mit einer einfachen Phrase aus den Begriffen der Kunst und
Schönheit heraus wird sich die Antwort wieder nicht geben lassen;
sondern wie die Nachtheile werden die gegenüberstehenden Vor-
theile in Betracht zu ziehen sein, da sie zum Theil gar nicht auf
einander zurückführbar sind, und die Gonllicte derselben mit den
Nachtheilen sich nicht verstehen und klären lassen, wenn man
nicht aufjene in entsprechender Weise als auf diese im Besondern
eingeht. Vor Allem aber ist einer wichtigen Selbsthülie der Kunst
jenen Nachtheilen gegenüber zu gedenken.
Die Nachtheile, welche davon abhängen, dass wir von vorn
herein nur im natürlichen Leben, nicht im Kunstleben heimisch
und orientirt sind, lassen sich, wenn nicht ganz aufheben doch
dadurch mindern, dass wir uns im Kunstleben heimisch m a ch en,
wodurch eine neue Orientirung entsteht, welche die natürliche
Orientirung bis zu gewissen Gränzen ersetzen kann. In dieser
Hinsicht wie noch nach andern Hinsichten haben die Kenner aller-
dings ganz Recht, dass der Mensch durch Kunst zum Genusse der
Kunst, zum Urtheil über Kunst, erzogen werden müsse. Das Le-
ben in der Kunst muss in der Wirkung der Kunst nothwendig
in Rechnung gebracht werden, sonst vernachlässigt oder unter-
schätzt man einen Hauptfactor dieser Wirkung.
In der That, durch das Leben in der Kunst lernen wir Bedeu-
tungen, welche die Kunst gewissen Formen geradezu octroyirt,
fast eben so geläulig daran knüpfen, als an die Formen der Natur,
und lassen uns selbst die grössten Naturwidrigkeiten, wie Gentau-
ren, Minotauren, Sirenen, Sphinxe, Satyrn mit Bocksfüssen, Ge-
stalten über den Wolken, Engel mit Flügeln, marmor- und gyps-
weisse Statuen, gefallen, ohne dadurch gestört zu werden. Gehö-
ren sie nicht in die natürliche Welt, so gehören sie eben in die
Kunstwelt, und haben darin ihre Leistungen so gut als die natür-
lichen Geschöpfe in der natürlichen Welt; Leistungen, ohne welche
die Kunst manche ihrer höheren Aufgaben gar nicht erfüllen könnte.
Aber nur in der Kunst selbst lernt man sich damit befreunden, in-
dem man ihre Bedeutung darin verstehen lernt oder einfach, sich
an gegebene Bedeutungen derselben gewöhnt. Und eben so
kommt man bald dahin, der Kunst Alles zu erlassen und nichts zu