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Kunst weit hinter die Natur zurückgestellt. So viel die Natur hin-
ter der Idee, bleibe die Kunst hinter der Natur zurück; denn so
wenig ein Naturgegenstand seine Idee, sein Musterbild, vollstän-
dig erreiche, so Wenig der Künstler die Natur. Auch weist er
desshalb (im Phtidros) dem Dichter und dem nachbildenden Künst-
ler eine sehr niedre, erst die sechste, Bangstufe unter den him-
melentstammten Seelen an, welche Stufen nach Massgabe der Er-
kenntniss des wahrhaft Seienden geordnet sind.
Inzwischen, so sehr die heutigen Idealisten im Uebrigen noch
von Plato's Ideenlehre beeinflusst werden, lassen sie doch diese
Erniedrigung der Kunst gegen die Natur auf Grund ihrer Abwei-
chungen davon nicht gelten; vielmehr, anstatt der Kunst solche zum
Naehtheil zu rechnen, suchen sie einen Hauptvorzug der Kunst
vor der Natur darin; gebieten dem Künstler, er solle die Natur gar
nicht so treu als möglich wiedergeben, sich vielmehr mit einer,
nur durch höhere Büeksichten gebundenen, Freiheit über sie erhe-
ben, wahrnehmen lassen, dass es ein Kunstwerk, ein Geisteswerk.
kein Naturwerk sei, was man vor sich hat. Die Durchdringung
der idealen schöpferischen Thätigkeit des Künstlers mit dem von
der Natur gebotenen realen StofTe, die Beherrschung, Ueberwäl-
tigung desselben durch den Geist, bedinge erst den Adel, den
Werth, ja den Begriff des Wahren Kunstwerkes, und selbst noth-
wendige Abweichungen der Kunst von der Natur sollen hienach
weiter getrieben werden, als sie nothwendig sind, z. B. Statuen
sollen nicht gemalt werden, obwohl sie gemalt werden könnten,
der Schein eines täuschenden Relief in der Malerei absichtlich ver-
mieden werden, die naturwahre Detailausführung beschränkt wer-
den, bedeutungslose Nebentheile weggelassen werden, die Gegen-
stände theils enger zusammengerückt theils weiter auseinander
gehalten werden, als in der Natur oder iiussern Wirklichkeit. NVas
habe der Mensch davon, die gemeine Wirklichkeit durch die Kunst
noch einmal wiedergegeben zu sehen; vielmehr gelte es, von den
Dingen der Wirklichkeit zum Ideal derselben aufzusteigen und
damit das reine Wesen derselben auszuprägen, was die Natur
ausser der Kunst darzustellen immer verweigere. In diesem Ueber-
steigen der Natur durch die geistige Thätigkeit des Künstlers im
Sinne von höheren, allgemeineren, werthvolleren Ideen, nicht
in der Wiedergabe der Naturdinge, wie sie die Welt derZufälligkeiten
uns vor Augen stellt, hiemit vielmehr in dem, was der Geist des