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sie will von vorn herein und heute noch nachahmen, und hier fragt sich
allerdings, warum will sie es nur bis zu gewissen Gränzen aber nicht über
gewisse Gräinzen hinaus, und wie bestimmen sich diese Gränzen.
Bei der Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, feste Gränzen in Be-
antwortung unsrer Frage zu ziehen, kann es nicht befrernden,
wenn sie hin- und hergeschoben werden, bald so, dass das Haupt-
gewicht noch auf den Anschluss an die Natur, bald so, dass es auf
die Abweichungen von der Natur fällt, wodurch man zu den man-
cherlei Einseitigkeiten, die aus andern Gesichtspuncten in der Auf-
fassung der Kunst herrschen, zwei mehr erhält. In der That kann
man, jenachdem das Hauptgewicht auf letztre oder erstre Seite
gelegt wird, zwei verschiedene Richtungen in Auflassung und folg-
weis Ausführung der Kunst unterscheiden, die wir kurz als idea-
listische und naturalistische oder realistischef) einander gegen-
überstellen, und in der freilich grossen Unbestimmtheit, die ihr
allgemeiner Gegensatz noch übrig lässt, zuvörderst durch die geläu-
ligsten Ausdrücke sich aussprechen lassen wollen, ehe wir he-
stimmtere Anhaltspuncte der Betrachtung suchen.
Selbstverständlich, und ohne dass" hierüber schon ein Streit
bestände, wird man der Kunst Abweichungen von der Natur nach
allen, Beziehungen gestatten müssen, na_ch welchen sie dieselbe
nicht erreichen kann. Weder der Bildhauer noch Maler vermag
seinen Gestalten Fleisch und Blut zu verleihen, der Maler eine
Landschaft nicht so herzustellen, dass man in dieselbe wirklich
hineintreten kann , und selbst den Schein der Tiefe nur unvoll-
ständig zu erzeugen ; der Bildhauer nicht allen Feinheiten der Haut
und des Haares nachzukommen, und beide den Moment nicht an-
ders als dauernd vorzustellen, u. s. w. Auch werden unerfüllbare
Fodernngen in dieser Hinsicht weder von Idealisten noch Realisten
gestellt.
Wenn nun die Kunst nach so vielen und wichtigen Beziehun-
gen nothwendig hinter der Natur zurückbleibt, so lässt sich
von vorn herein fragen: wozu überhaupt noch Kunst der Natur
gegenüber? Wirklich hat Plato aus diesem Gesichtspuncte die
a") Aus diesem oder jenem Gcsichlspuncte lässt sich auch wohl ein Un-
terschied zwischen Naturalismus und Realismus in der Kunst machen, ohne
dass die folgenden allgcnleinen Erörterungen einen Anlass enthalten, darauf
einzugehen.