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werden kann, was das Kunstwerk im Ganzen werth ist. Warum
soll man eine sinnliche Formwohlgefälligkeit verachten, wenn sie
nur die Charakteristik und die Befriedigung höherer Foderungen
nicht beeinträchtigt; warum die sixtinische Madonna nicht für ein
schöneres und werthvolleres Kunstwerk halten als eine gleich gut
gemalte Martcrscene, ungeachtet der Vorzug blos im grösseren
Werthe des gleich gut herausgestellten Inhaltes liegt; warum nicht
Darstellungsstoffen von an sich geringem Form- und Inhaltsinteresse
doch gestatten, zur Befriedigung des formalen Interesses und des
Interesses an der Leistungsgrösse des Künstlers, doch ausgeführt
zu werden; warum endlich soll die Freude an dieser Leistungs-
grösse für nichts zählen. Factisch und praktisch zählt das Alles;
die Theorie ist eine schlechte, die es nicht mit zählt.
Von andrer Seite fehlt der einseitige Gehaltsästhetiker,
erste n s, wenn er meint, dass die Kunst weiter nichts leiste, als
Gefühle und Empfindungen, die wir ausser der Kunst schon haben
können, in besonders vortheilhafter Weise zu erzeugen, ohne das
höhere einheitliche Gefühl in Rechnung zu bringen, was durch das,
nur in der Kunst geschehende, Ineinanderarbeiten der verschiede-
nen Mittel, wodurch der Mensch lustvoll angesprochen werden
kann, zu erzeugen ist; und fehlt z weitens, wenn er die formalen
Bedingungen des Gefallens blos in sofern werth hält, als sie bei-'
tragen, einen werthvollen Inhalt ins Licht zu stellen, ohne ihren
eigenen Lustwerth in Rechnung zu ziehen.
Beide aber scheinen mir zu fehlen, insofern sie überhaupt
eine Frage stellen, zu beantworten suchen und Betrachtungen
über Kunst von höchster Höhe an eine Frage knüpfen, die sich bei
der Unbestimmtheit, wie Form und Inhalt auseinander zu halten
sind, von vorn herein Weder klar stellen noch nach allen Erörte-
rungen darüber einfach beantworten, oder im Sinne der Frage-
stellung nach einer oder der andern Seite bestimmt entscheiden
liisst.
Um diese Unbestimmtheit nicht sowohl zu heben, als auf einige
allgemeine Gesichtspuncte zurückzuführen, schliesse ich endlich
mit folgenden Bemerkungen.
Unstreitig wird eine, auf den Grund gehende, Betrachtung
immer zu einer solchen Aulfassung des Inhaltes der Form gegen-
über im Kunstgebiete führen, wonach alles an den directen Ein-
druck einer sinnlichen Form geistig Angeknüpftc zum Inhalte ge-
Fec h n er, Vorschule d. Aesthetik. II. 3