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Es macht aber die Unsicherheit ihrer Unterscheidung über-
haupt die Kategorien von Form und Inhalt nicht sehr brauchbar,
an die Spitze ästhetischer Betrachtungen, wozu sie doch im Streiti-
der FormäisLhetike-r und Gehaltsästhetiker erhoben werden, zu
treten.
lm Allgemeinen ist es mit Beurtheilung eines Kunstwerkes
wie mit Beurtheilung eines Menschen, an dem man Mancherlei
loben und Mancherlei vermissen kann, ohne eine Formel zu haben,
nach der man ihn in Bausch und Bogen zulänglich beurtheilen
könnte. Sollte man sich etwa auch bei einem Menschen streiten,
0b er mehr nach seiner Form oder seinem Gehalt zu beurtheilen
sei"? Aber niemand wird hier diese Kategorien recht brauchbar
finden. Man würde gleich fragen: wäre nicht vor allem erst die
anschauliche Form und die Form des daran angeknüpften geistigen
Inhalts zu unterscheiden? ist nicht aber die Beschaffenheit des ln-
haltes selbst durch seine innere Form bestimmt und kann man also
vom Inhalt sprechen ohne seine Form mit inzubegreifen? Ich
wüsste aber nicht, wiefern sich nicht ganz dasselbe betreffs Beur-
theilung und Schätzung eines Kunstwerkes sagen liesse. Auch
hätte sich aus diesem allgemeinen Gesichtspunct der ganze Streit
zwischen Form-Aesthetik und Gehalts-Aesthetik von vorn herein
als unfruchtbar abweisen lassen; da er aber doch einmal geführt
wird, so suchte ich ihm im Vorigen noch so weit als möglich sach-
lich beizukommen; wozu noch folgende Bemerkungen etwas hei-
tragen mögen.
Wenn Formästhetiker das Interesse an Kunstwerken als ein
eigenthümliches Interesse in Anspruch nehmen, was sich ausser-
halb der Kunst weder in der natürlichen Wirklichkeit, noch Wis-
senschaft, Geschichte, Mythus u. s. w. trotz Gemeinsamkeit des
Inhalts mit der Kunst sondern eben nur durch die Formgebung der
Kunst befriedigen lasse, so haben sie freilich insofern Recht, als
die Kunst überhaupt Bedingungen unmittelbaren Gefallens zuzu-
ziehen, zu combiniren und in der Wirkung zu steigern vermag,
wie es die kunstlose Natur, Wissenschaft u. s. w. nicht versucht
und nicht vermag, wozu auch sonst eine Kunst. Die Kunst hat ja
eben, wie wir sagten, den Zweck, unmittelbar ein möglichst
reines und ein höheres als blos sinnliches Wiohlgefallen zu er-
wecken, nimmt also auch in ihren Werken Mittel dazu möglichst
zusammen und erreicht damit Erfolge, wie sie sonst nirgends