Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

vermag, so mehr beweist und bewährt es unmittelbar seine Kraft 
und seinen Werth. Und wird wohl jemand eine Landschaft von 
Claude Lorrain desshalb schlechter finden, dass sie das eigen- 
thümliche wonnige Gefühl des Blickes in eine italienische Land- 
schaft kraftvoll in uns hervorzuzaubern vermag, es vielmehr durch 
die Kunst vernichtet haben wollen?  
Nun wird freilich keine heitre oder gemüthliche Scene im 
Bilde uns überhaupt gleiche Heiterkeit erwecken, gleich gemüthlich 
stimmen können, als wenn wir in Wirklichkeit selbst an der Scene 
Tlieil hätten, und die schönste gemalte Landschaft nach gewisser 
Beziehung noch viel vom Eindruck der Wirklichen Landschaft ver- 
missen lassen, indess sie nach andern denselben überbieten kann. 
ln jedem Falle aber kann durch das Bild ein Abklang desjenigen 
Gefühls in uns erzeugt werden, was die Scene in der Wirklichkeit 
oder Natur in uns zu erzeugen vermöchte; und jedes andre Bild 
wird und soll uns hienach anstattimmer dieselbe allgemeine Kunst- 
heiterkeit zu erwecken, durch seinen andern lnhalL anders werth- 
voll stimmen. Will der Kunstkenner diess Andre vom Eindrucke 
abziehen, um die allgemeine Kunstheiterkeit rein-zu haben, so 
mag er es für sich thun; er hat aber damit eben nur ein Abstrac- 
tum statt des vollen lebendigen Eindruckes, den das Kunstwerk 
machen kann und machen soll. 
Wer nun freilich blos bei der allgemeinsten oder Haupt- 
wirkung des Inhaltes stehen bleibt und das Einzelne nur nach der 
Frucht, die es dafür trägt, beachtet und schätzt, also vom religiösen 
Bilde nichts weiter hat und verlangt als Erweckung von Andacht 
oder religiöser Stimmung, wer sich gar davon über das Bild hin- 
weg in die Betrachtung himmlischer Dinge heben lässt, statt von 
da mit der Betrachtung in die Ausführung des wie oben gefassten 
Inhaltes des Bildes einzudringen, um sich auch am Einzelnen darin 
zu erfreuen, von dem kann man allerdings nicht sagen, dass er 
einen Kunstgenuss habe, indem er blos den Gipfel der Sache statt 
der Sache, die Frucht des Baumes statt des Baumes mit der Frucht 
hat; aber umgekehrt hat der, der sich hlos mit den Mitteln der 
Totalwirkung, ohne diese selbst zu emplinden, beschäftigt, die 
Sache ohne den Gipfel. 
Also statt als allgemeine Regel auszusprechen, dass die Kunst 
die eigenthümliche Wirkung des Gehaltes ihrer Stoffe solle durch 
irgendwelche Formwirkung vernichten, hat sie eben so alles Mög-
	        
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