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nicht ohne dauernde Nachtheile geschehen kann, und nicht überall
vor einem spätem Wiedererwachen der ältern Gewöhnung schützt.
Bekanntlich bedienen sich die Conditoren zur Verhütung fortgesetzter
Näschereien ihrer Lehrlinge des Mittels, ihrem Appetit von vorn herein freien
Lauf zu lassen, wo es dann nicht fehlt, dass dieselben durch Uebersättigung
mit den Süssigkeiten bald einen Ekel davor bekommen.
Auch der ausgepichte Trinker wird im Zustande des sog. Katzenjammers
das Trinken verwünschen, und es nachher längere Zeit unterlassen, als er es
sonst unterlassen haben würde, nur dass in diesem Falle die alte Gewöhnung
über kurz oder lang wieder in ihre Rechte einzutreten pflegt.
Ganze Zeiten können sich an eine Mode oder einen Kunststil so gewöhnen,
dass sie nichts gestatten, was nicht im Sinne desselben ist, und endlich durch
Uebertreibung so davon übersättigt werden, dass sie in die Neigung zum Ent-
gegengesetzlesten verfallen.
Bei Unlustreizen kann nach Eintritt des Umschlagpunctes, wo
ein solcher überhaupt zu erzielen ist, eine neue Gewöhnung an den
Reiz als an einen Lustreiz und durch Uebersättigung ein neuer
Umschlag eintreten.
So bringt das Tabakrauchen erst Unlust hervor. Bei öfterer Wieder-
holung kann statt dessen durch Ueberschreilen des Umschlagspunctes Lust
eintreten; dann kann man sich daran gewöhnen, dass man vom Rauchen
selbst keine oder nur eine sehr verminderte Lust, vom Fehlen des Rauchens
aber eine starke Unlust empfindet. Wollte man aber die Stärke und Dauer
des Rauchens übertreiben, so würde ein neuer Umschlagspunct eintreten.
An den Aufenthalt in schlechter Luft kann man sich bemerkterrnassen
erst so gewöhnen, dass man ihre Unannehmlichkeit minder, den Eintritt in
bessere Luft aber contrastmässig noch wohlgefälliger als ohne jenen vergän-
gigen Aufenthalt empfindet. Sehr langer Aufenthalt in massig schlechter Luft
aber kann durch Ueberschreiten des Umschlagspunctes auch zu einer solchen
Gewöhnung daran führen, dass wir den Wegfall der schlechten Luft unan-
genehm spüren, wie denn Manche sich so an eingesperrte Stubenluft gewöhnt
haben, dass sie jedes Oelfnen der Fenster scheuen; sollte aber die üble Be-
schaifenlmeit der Luft gewisse Gränzen überschreiten, so würde doch das
Fenster lieber geöffnehwerden.
Insofern ein Gegenstand zugleich niedere und höhere ästhe-
tische Eindrücke zu erwecken vermag, wie diess im Allgemeinen
von Kunstgegenständen gilt, gehen die Verhältnisse der Uebung,
Abstumpfung, Gewöhnung, Uebersättigung bezüglich beider ein-
ander nicht nothwendig parallel, stehen vielmehr häufig, doch nicht
nothwendig, in Antagonismus; es soll aber in eine Casuistik in die-
ser Hinsicht hier nicht näher eingegangen werden.