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Periode des Aufsteigens dabei, falls beide Wirkungen nicht zu weit
in der Zeit auseinanderliegen und die Nachwirkung der ersten
Wirkung nicht durch zwischenfallende Wirkungen aufgehoben
wird.
In vielen Fällen aber kann sich die Epoche des Aufsteigens der
Wirkung in einen so kurzen Moment zusammenziehen, dass gleich
der erste Eindruck als der stärkste erscheint; daher man häufig
sogar geneigt ist, Frische und Stärke des Eindrucks für solidarisch
zu halten, was doch nicht allgemein, und in aller Strenge sogar
nirgends, als richtig gelten kann. Denn was auch Gefallen oder
Missfallen durch seine Einwirkung auf uns wecken mag; ein un-
theilbarer Moment der Einwirkung reicht nicht hin, .es in vollem
oder nur in merklichem Grade auszulösen. Ja es giebt Fälle, wo es
einer längeren Fortsetzung oder öfteren Wiederholung des Beizes
oder einer Uebung in Auffassung desselben bedarf, um den Ein-
druck zur vollen Stärke zu bringen.
Namentlich sind es feinere und höhere Eindrücke, welche uns
weder bei ihrer ersten Begegnung noch in den ersten Momenten
ihrer Wirkung, wofern nicht hinreichende Uebung vorausgegangen
ist, am stärksten afficiren, indem die Aufmerksamkeit erst in Bezug
darauf gespannt, das Auffassungsvermögen geübt werden muss.
Der Begriff der Uebung in Auffassung von Eindrücken aber liegt
darin, dass durch fortgesetzte oder wiederholte Aufmerksamkeit auf
feinere Modificationen oder höhere Beziehungen in einem gegebenen
Gebiete die feinere Auffassung derselben erleichtert wird. Ohne
vorausgegangene Uebung entgehen daher dem Menschen viele feinere
und höhere ästhetische Eindrücke, indess es eine hinlängliche
Uebung dahin bringen kann, dass der Eindruck selbst sehr feiner
Modificationen und hoher Beziehungen in' den ersten Momenten
scheinbar unmittelbar zur vollen Stärke gelangt, die er überhaupt
zu erlangen vermag,
Es lässt sich jedoch der ästhetische, gleich viel ob niedere oder
höhere, Eindruck durch Verlängerung oder Wiederholung seiner
äussern Ursache, kurz des Reizes, nie über gewisse Gränzen stei-
gern. Fährt vielmehr der Reiz nach Eintritt der vollen Stärke seiner
Wirkung fort, in derselben oder einer ähnlichen Art einzuwirken
oder sich zu wiederholen, und hat sich nicht etwa durch eine län-
gere Zwischenzeit die ursprüngliche Empfänglichkeit merklich
wiederhergestellt, so mindert sich der Eindruck, was man als
Fechner, Vorschule d. Aesthetik. II. 46